Bluttrinker (German Edition)
Jeremias sich auf
der Eckbank niedergelassen. Sein Arm lag auf der Rückenlehne, die Beine
ausgestreckt auf einer Seite der Sitzfläche. Nachdem er von einem kurzen
Jagdausflug zurückgekehrt war, begannen die Brandwunden auf seinem Oberkörper
und Schädel erkennbar zu heilen. Nur gelegentlich konnten die anderen etwas von
den Schmerzen ahnen, die seine Verletzungen ihm bereiteten, wenn eine
unbedachte Bewegung ihn zusammenzucken ließ.
Die Blutsklaven der Alten Götter hatten dafür gesorgt, dass
reichlich Lebensmittel im Haus waren. Sue Lee und Yvette saßen essend am Tisch,
als Thomas die Hintertreppe herunter humpelte. Er war sauber und trug frische,
schlabbrige Sportklamotten. Beide Frauen sprangen auf und umarmten ihn,
gleichermaßen erleichtert und bedrückt. Das viel zu große Shirt ließ genug von
seiner Haut frei, um zu erkennen, dass er gefoltert worden war.
Minuten später hockte Thomas neben Jeremias auf der Eckbank und stopfte
löffelweise mayonnaisetriefenden Wurstsalat in sich hinein. Das
Kalorienhaltigste, was er im Kühlschrank gefunden hatte.
Die Tür zum Nebenraum, dem Esszimmer, stand offen. Um die lange Mahagonitafel
saßen und standen über ein Dutzend Jäger. Die meisten hatten ihre Jacken
abgelegt. Die ohne Ausnahme großen, muskelbepackten Männer wirkten noch
einschüchternder als sonst, mit den Pistolenhalftern, Schwertern und Dolchen,
die sie scheinbar in jedem Knopfloch verstaut hatten. Der eine oder andere wies
noch die Spuren heilender Verletzungen auf.
Während Thomas angestrengt kaute, beobachtete er, wie Johann
neben dem protzigen, antiken Buffetschrank auf und ab tigerte. Die Unruhe des
Bluttrinkers schlug in Zorn um. Offenbar versuchte er, per Handy jemanden zu
erreichen.
„Willst du´s mit meinem probieren?“, fragte einer der
Männer.
Johann gab ein wütendes Schnauben von sich.
„Wie groß ist wohl die Chance, dass sowohl das Funkgerät als auch mein und
Matthias Handy gleichzeitig den Geist aufgeben? Das liegt nicht am Gerät,
verdammt noch mal!“
„Welchen Grund könnte es geben“, fragte Matthias düster, „dass Charly nicht
antwortet?“
Irgendwo in Thomas Hinterkopf begann eine Alarmglocke zu
läuten.
Das waren eine ganze Menge Jäger, machte er sich klar. Er kannte sich in dieser
Hinsicht nicht übermäßig gut aus. Aber er konnte sich vorstellen, dass sich die
Hälfte der Jäger Westeuropas in diesem Haus aufhielten. Und da war noch etwas
anderes.
Er schluckte einen Mund voll Wurstsalat herunter und fragte die beiden Frauen:
„Was ist heute für ein Tag?“
Yvette schien so in Gedanken versunken, dass sie ihn nicht hörte. Sue sah ihn
erstaunt an.
„Hast du das Feuerwerk nicht gehört? Es war ohrenbetäubend, sogar im Keller.“
„Heute ist Sylvester?“
„Ja. Das heißt, genau genommen ist jetzt natürlich Neujahr.“
Sue wollte Thomas fragen, was mit ihm los war, ob ihm schlecht wurde, denn die
Hände des jungen Mannes begannen merklich zu zittern. Seine Augen starrten
plötzlich weit aufgerissen in die Ferne.
Jeremias legte seine unverbrannte Hand auf seinen Arm und
schüttelte ihn sanft. „Thomas?“
„Helmar“, flüsterte er.
„Der ist tot“, versicherte Sue.
Thomas schüttelte den Kopf. „Nein - ich meine, das ist es nicht. Er hat etwas
gesagt. Irgendwas ist an Sylvester. Er hat es mir gesagt, als er ...“
Thomas verstummte, kämpfte mit Erinnerungen, die er so schnell wie möglich
begraben wollte.
„Es ist vorbei“, redete Jeremias ihm zu. „Du bist in Sicherheit. Es spielt
keine Rolle mehr, was auch immer Helmar dir angedroht haben mag. Diego und
Johann haben ihn getötet.“
„Wie viele von euch sind eigentlich hier?“ Thomas wirkte plötzlich hellwach.
„Wir rechneten mit wesentlich größerem Widerstand. Aber scheinbar gibt es
niemanden, der weiß, wohin die Bande verschwunden ist.“
„Was ist mit - ich weiß nicht genau - Helmar hat es das Hauptquartier genannt?“
Aus dem, was Helmar Thomas in einem Anfall von Prahlerei
verraten hatte, ging klar hervor, dass sie zu spät kommen würden. Dennoch
ordnete Jeremias an, dass der größte Teil von ihnen sich auf die Rückfahrt nach
Frankfurt vorbereiten sollte.
Erneut ließ Johann das Handy durchklingeln. Zum wievielten Mal wusste er längst
nicht mehr.
„Ja“, klang es so unerwartet aus dem Lautsprecher, dass
Johann einen Augenblick brauchte, um Luft zu holen.
„Lukas! Warum meldet ihr euch nicht?“, fuhr er seinen Sohn an.
„Tut mir leid! Ich hab grade Charly
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