Bluttrinker (German Edition)
ganz normaler Mensch, hätte sie sich niemals so von
ihrer vertrauten Umgebung zurückgezogen. Sie selbst wäre über ein solches
Verhalten verstimmt gewesen.
Im Moment stand Tony mit glühenden Wangen in der
Schlafzimmertür des Penthouses. Eigentlich gab es für ihre Freundinnen gar
keinen Grund, zur Decke zu sehen, sagte sie sich.
„Oh mein Gott!“, rief Lilly aus, den Kopf in den Nacken gelegt. „Das ist
pervers, oder?“
Über dem riesigen Polsterbett, das mit himbeerfarbenen Seidenlaken bezogen war,
hing ein beinahe ebenso großer, von vergoldeten Stuckrahmen eingefasster
Spiegel.
Tony hatte sich zunächst geziert, die drei Frauen in das Schlafzimmer zu
führen. Bis sie zu der Überzeugung kam, dass die Fantasien, die ihre
Freundinnen ausbrüteten, wilder ausfallen mochten als die Realität.
Tatsächlich hatte dieser Spiegel Tonys Entschluss, mit Lukas
zusammenzuziehen, einmal mehr auf die Probe gestellt. Sie wollte ihn eigentlich
entfernen lassen, bevor sie die Wohnung bezogen. Sie konnte sich nicht
vorstellen darunter zu schlafen. Geschweige denn, etwas anderes zu tun.
Lukas brauchte nicht lange, um sie eines Besseren zu belehren. Am Abend des
ersten Tages, den sie in diesem Bett verbrachte, musste Tony eingestehen, dass
dieses dekadente Ding einfach göttlich war. Niemals zuvor hatte sie etwas
Heißeres erlebt, als am Hals ihres Liebhabers vorbei zu blicken und zuzusehen,
wie Lukas wundervoller Körper sich auf ihr bewegte.
Sabine kicherte nervös. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
Was ist dieser Lukas für ein Typ? Ich meine, macht der irgendwelche
merkwürdigen Sachen mit dir?“
Nein, schoss es Tony durch den Kopf. Nur, dass er auf dem Höhepunkt
unserer Lust seine Fangzähne in mich schlägt und mein Blut trinkt. Vampire
machen das eben so.
„ Was?“ Tony starrte ihre Freundin an. „Was meinst du damit?“
„Genau“, mischte Julia sich ein und deutete zur Decke. „Ist dir das noch nicht
komisch genug? Ich dachte gleich, der Kerl ist total pervers. Aber sie wollte
ja nicht auf mich hören.“
Tony nahm sich vor, Lukas zu fragen, ob er irgendetwas mit
Julias Erinnerung angestellt hatte. Andererseits fiel ihr nicht zum ersten Mal
das selektive Gedächtnis der Freundin auf.
Tony nahm einen großen Schluck aus ihrem langstieligen Rotweinglas, das sie,
wie ihre Besucherinnen, mit sich durch die Wohnung trug und verkündete:
„Zuletzt das Badezimmer. Dann habt ihr alles gesehen.“
Sabine wollte das Schlafzimmer verlassen, aber Tony rief sie zurück. „Da
draußen ist das Gästebad. Hier geht‘s lang.“
Der Raum war groß genug, um die Frauen bequem einzulassen, die mit offenem Mund
stehen blieben.
„So einen Whirlpool haben sie im Thermalbad auch.“
Sabine nahm die zahlreichen Düsen in dem geräumigen, im Boden versenkten Becken
in Augenschein.
„Was ist das?“ Julia deutete auf die rechteckige Glasabtrennung direkt vor ihr.
„Das ist ein Duschpaneel, du Banause!“, behauptete Lilly.
„Eine Dampfdusche. So eine Art Sauna auf Knopfdruck. Bevor ich hier eingezogen
bin, wusste ich auch nicht, dass es so was gibt“, tröstete Tony die kleine,
strohblonde Frau.
„Tony“, Sabine klang erschöpft. „Ich weiß nicht, was die anderen davon halten,
aber eins sag ich dir. Was auch immer der Kerl im Bett mit dir anstellt. Ich
glaube, du hast das große Los gezogen!“
Tony verdrehte genervt die Augen. Warum gingen eigentlich alle davon aus, sie
sei ein armes, missbrauchtes Opfer?
Stunden später lümmelten die Frauen mit selbst gemixten
Cocktails und Knabberzeug auf den überdimensionalen Polstermöbeln herum. Tony
hatte ihr Notebook auf den Sofatisch gestellt. Sie hockte auf dem
Flauschteppich und betrachtete konzentriert ein kompliziertes, kreisförmiges
Diagramm, das den Bildschirm ausfüllte.
„Ich hab jetzt deine und Martins Geburtskonstellationen gleichzeitig
eingeschaltet“, erklärte sie Lilly geduldig. „Ich könnte natürlich mehr sagen,
wenn ich seine genaue Geburtszeit wüsste. Aber immerhin.“
Sabines unmotiviertes Kichern unterbrach ihre Ausführungen. Die Freundin hatte
eindeutig einen Pina Colada zu viel erwischt.
„Tony und ihre Hexenkünste ! Erinnert ihr euch noch, wie sie in der
siebten Klasse versucht hat, Vater Vincente dazu zu bringen, mit dem Bus nach
Hause zu fahren?“
Lilly nickte und erwiderte das Grinsen. Es lag mehr in ihrem Blick als reine
Belustigung. Ein zwischen Faszination und Abscheu angesiedelter Ausdruck, den
ihre Freundinnen stets aufsetzten,
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