Bluttrinker (German Edition)
seinen Vater. Lukas erkannte sie nicht.
Es mussten alte, mächtige Bluttrinker sein. Ihm selbst wäre die Gegenwart
fremder Artgenossen vielleicht entgangen. Sein Vater war wesentlich schwerer zu
täuschen.
Das Mittel wirkte beachtlich schnell. Ein Betäubungsmittel,
das einen Bluttrinker außer Gefecht setzen sollte, musste stark genug sein, um
einen ausgewachsenen Elefanten für Stunden ins Reich der Träume zu schicken.
Keine Droge vermochte mehr, als eine minutenlange Bewegungsunfähigkeit
auszulösen. Zweifellos würden die Angreifer die kurze Zeitspanne zu nutzen
wissen.
Während Lukas benommen registrierte, wie das Muster des Orientteppichs auf ihn
zu kippte, hörte er die Stimme eines der Männer.
„Die Ketten, Helmar! Wir haben keine Zeit zu verlieren!“
Im selben Augenblick, in dem Johann und Lukas zu Boden
gingen, flog die Tür der Hotelsuite auf, in der sich Nora und Tony sicher
gefühlt hatten. Der Knall des zerberstenden Türschlosses ließ Tony vom Sofa
aufspringen. Noch bevor sie auf den Füßen stand, wurden ihr die Hände auf den
Rücken gerissen. Sie fühlte sich an die heiße Brust eines fremden Mannes
gepresst.
Erst als die Bluttrinker – niemand anders konnte sie in dieser Form überwältigt
haben - sich wieder in einer für sterbliche Augen erkennbaren Geschwindigkeit
bewegten, erblickte Tony den Mann, der Nora im Griff hielt. Zu ihrem Schrecken
kannte sie ihn. Es war Peter, der Lukas Mutter die Arme hinter den Rücken
zwang.
Nora starrte Tonys Überwältiger mit einem Ausdruck widerwilligen Erkennens an.
„Ricardo“, kam als ungläubiges Flüstern über ihre Lippen.
In den vergangenen Tagen hatte Tony viel über die Alten
Götter gehört. Und über Ricardo, den Abtrünnigen. Sie war überzeugt, dass ihnen
nur noch Minuten zu leben blieben. Doch die Bluttrinker beschränkten sich
darauf, ihre Gefangenen wie Rollbraten zu verschnüren, ihnen irgendwelche
Lappen als Knebel in den Mund zu stopfen und sie die Hintertreppe des Hotels
hinunter zu schleppen.
Unvernünftig hoffte Tony, Johann und Lukas würden im letzten Moment auftauchen,
doch kein Mensch begegnete ihnen – und auch kein Bluttrinker.
In der Tiefgarage wartete eine Limousine mit auffallend dunklen Scheiben auf
sie. Peter klemmte sich hinter das Steuer, während Ricardo die Frauen auf die
Rückbank verfrachtete und auf der Beifahrerseite einstieg. Unbehelligt steuerte
Peter den Wagen aus der Garage.
Tony starrte hinaus in die dunklen Straßen und versuchte Anhaltspunkte zu
entdecken, wohin sie gebracht wurden, doch schon bald konnte sie sich darauf
nicht mehr konzentrieren.
Ricardo wuchtete seine massige Gestalt herum und fixierte die beiden Frauen.
Bisher hatten alle Bluttrinker, denen Tony begegnete, eine
beneidenswerte Gesundheit ausgestrahlt. Doch nicht einmal Ricardos Furcht
einflößende Größe und Masse konnte darüber hinweg täuschten: Er sah aus, wie
ein Mann, der ein anstrengendes und ungesundes Leben führte. Seine Haut war
fahl, das Haar hing ihm strähnig ins Gesicht und seine tiefliegenden Augen
waren blutdurchschossen. Dazu kamen die fahrigen, für einen Bluttrinker
merkwürdig unkoordinierten Bewegungen.
„Sieh an.“ Ricardo bedachte Nora mit einem öligen Grinsen.
„Ich erinnere mich gut an dich. Es hat dir nicht in den Kram gepasst, dass dein
kostbares Balg mit mir befreundet war, stimmt´s? Ich war nicht die passende
Gesellschaft für dein Schätzchen. Hättest nicht gedacht, dass sich das Blatt
mal wendet, was?“
Nora wandte den Kopf ab und blickte starr aus dem Fenster. Selbst wenn sie dazu
in der Lage gewesen wäre, hätte sie ihn keiner Antwort gewürdigt. Doch Ricardo
war nicht bereit ignoriert zu werden. Seine riesige Pranke grub sich in Noras
Haar und zwang sie ihn anzusehen.
„Du hast mir damals schon gefallen. Wie ist das? Kriegt so ein jämmerlicher
Jäger eigentlich richtig einen hoch? Fast schade, dass du tot bist, wenn ich
mit dir fertig bin. Wer weiß, vielleicht würdest du ja auf den Geschmack
kommen.“
Tony brauchte nicht die scharfen Sinne eines Bluttrinkers,
um zu wissen, dass sich Noras Puls beschleunigt hatte und nackte Angst aus
jeder ihrer Poren dünstete, seit Ricardo sie berührte.
„Hey!“ Peters Ausruf ließ die Frauen zusammenzucken. Ricardo
fauchte seinen Komplizen unwillig an.
„Über die Verteilung der Beute entscheidet Bodo! Vergiss das nicht! – Ist das
klar?“
Für die Ohren der Frauen klang Ricardos gegrunzte Antwort nicht danach, als
wäre irgendetwas
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