Bluttrinker (German Edition)
der Jäger auf den ersten Blick: Das
unversehrt gebliebene Gesicht dieses Mannes wies nicht die Spur einer
Brandnarbe auf!
Wer auch immer das sein mochte, er war nicht Ludwig Breitner!
Als der Jäger neben der Fahrertür stehen blieb entdeckte er
auf der Rückbank eine kleine, blonde Frau und zwei Kinder. Der Aufprall hatte
sie ordentlich durchgeschüttelt, aber sie hatten höchstens ein paar Prellungen
davongetragen. Sie schliefen, weil der Bluttrinker, der sie entführte, ihnen
befohlen hatte zu schlafen, bis er sie aufweckte.
Das würde jetzt jemand anders übernehmen müssen. Der Pfosten hatte den Mann
tatsächlich so gut wie enthauptet.
Was nicht nur für den Unbekannten ausgesprochenes Pech war.
Wer, verdammt noch mal, war dieser Kerl?
Er hatte Jeremias mit Erinnerungen, wie sie eigentlich nur von dem Verbrecher
stammen konnten, an der Nase herumgeführt und in diese abgelegene Gegend
gelockt.
Wie war es möglich, dass er von sich selbst als von Ludwig Breitner dachte?
Darauf gab es nur eine einleuchtende Antwort, erkannte
Jeremias bestürzt.
Jemand hatte den Fremden mit einem Hypnoseblock versehen, der nicht nur ihn
selbst glauben machte ein anderer zu sein, sondern ihm auch Erinnerungen an
vergangene Grausamkeiten eingab – und das Verlangen neue zu begehen.
Dieser Jemand konnte nicht irgendwer gewesen sein. Nur ein sehr alter Bluttrinker
besaß die Macht, in solcher Weise den Geist eines Artgenossen zu unterwerfen.
Wem von den wenigen Uralten, die noch existierten, war eine solche Tat
zuzutrauen?
In Mitteleuropa gab es auf diese Frage nur eine Antwort: Bodo von der Lenke,
Peters Vater!
Die Konsequenzen dieser Erkenntnis veranlassten Jeremias
lauthals und ausfallend zu fluchen, während er sein Handy aus der Tasche riss
und hektisch Johanns private Handynummer wählte. Nur auf diesem Weg würde er
den Freund jetzt erreichen.
Jeremias ließ das Handy zweimal durchklingeln. Dann versuchte er es noch ein
drittes Mal. Nach dem vierten Klingeln kam die Verbindung zustande. Der Jäger
hörte, wie abgenommen wurde und ein leises Atemgeräusch.
„Johann, du läufst in eine Falle! Hörst du mich? – Johann?“
Nur ein leises Ausatmen war am anderen Ende vernehmbar. Dann wurde die
Verbindung unterbrochen. Jeremias begriff, dass seine Warnung zu spät kam.
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„Guten Abend. Wir haben euch so früh nicht erwartet. Bitte,
kommt doch rein.“
Die kurvige, in ein seidenes Nachtkleid gehüllte Brünette, die Etiennes
Wohnungstür öffnete, sah ein wenig derangiert aus. Ihr Make-up war verschmiert,
die Frisur notdürftig zurechtgezupft. Auf Johanns Stirn erschien eine einzige,
steile Falte. Lukas kannte seinen Vater gut genug, um zu wissen, wie verärgert
er war.
Als Etienne vor ein paar Jahren die Lizenz für seinen Klub
beantragt hatte, war es Johanns Verantwortung gewesen, den jungen Bluttrinker
zu überprüfen. Das gehörte zu seinen Aufgaben als Jäger.
Entscheidender war jedoch, dass er den Freund seines Sohnes hatte aufwachsen
sehen. Etienne war sicher kein Musterknabe. Aber er hatte ihn als
verantwortungsbewusst genug eingeschätzt, um ihm die Sicherheit seiner
Angestellten anzuvertrauen.
Dass Etienne diese Menschen, die er sich als persönliches Spielzeug von seinem
Geschäft auslieh, in Gefahr brachte, stieß bei dem ernsthaften Jäger auf
keinerlei Verständnis. Gereizt betrat Johann, an der Sterblichen vorbei, die
Diele.
„Guten Abend. Den Eindruck habe ich auch.“
Der Jäger durchquerte den breiten Flur der eleganten
Altbauwohnung, die im zweiten Stock über dem Raven lag. Lukas folgte ihm. Er
zweifelte nicht daran, dass sein Vater Etienne ordentlich den Kopf waschen
würde. Niemand sollte hier sein, auf den sie Rücksicht nehmen mussten. Etienne
hatte dieser Bedingung ohne Einwände zugestimmt.
Sie gelangten durch eine weiß lackierte Doppeltür in ein
stuckverziertes Wohnzimmer. Lukas erhaschte einen flüchtigen Blick auf die
gekonnte Mischung aus Antiquitäten und Designerstücken. Dann hörte er den
erstickten Laut, der aus Johanns Lungen drang. Zugleich durchzuckte ein
scharfer Schmerz seinen Hals und ein weiterer traf ihn unmittelbar über dem
Herzen. Dumpfes Hämmern erfüllte sein Bewusstsein, während lähmende Taubheit
von seinen Gliedmaßen Besitz ergriff. Ein merkwürdiges Ding, das wie eine
Spritze mit Federn aussah, ragte aus seiner Brust.
Betäubungspfeil, begriff Lukas schwindender Verstand.
Er sah in die Mündungen klobiger Gewehre. Zwei Männer richteten die Waffen auf
ihn und
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