Bluttrinker (German Edition)
Jahrhunderte mit ihr zu verbringen!
Sie zögerte, den anderen von dem Messer zu berichten. Als
Ricardo sie fesselte, war der Anhänger unter ihrer Kleidung auf den Rücken
gerutscht. Sie hatte keine Chance, das winzige Messer zu erreichen.
„Wisst ihr, was sie vorhaben?“
Nora stellte diese Frage, doch niemand hatte Gelegenheit ihr zu antworten.
Der Schlüssel drehte sich wieder in dem rostigen Schloss und die Tür schwang
auf. Irgendjemand hatte im Flur das Licht eingeschaltet und die Helligkeit, die
durch die Öffnung hereinfiel, blendete sie.
Mehrere Männer betraten den Raum. Sie sprachen nicht und
reagierten weder auf Fragen noch auf Protest. Nach und nach luden sie sich die
Gefangenen auf die Schultern und schleppten sie durch enge Flure und eine Treppe
hinauf. Sekunden später wurden sie wie Säcke in einer Raumecke abgeladen. Tony
erkannte, trotz der spärlichen, grün schimmernden Notbeleuchtung, den
öffentlichen Bereich des Raven, die Diskothek.
Sie zappelte herum, ignorierte die einschneidenden Stricke, bis es ihr gelang,
sich an der Wand zu einer sitzenden Haltung hochzuschieben. Niemand hinderte
sie daran. Der Raum war voller Vampire, denen sie nicht entkommen würde, ganz
gleich, was sie tat.
Mitten auf der Tanzfläche standen zwei Stühle. Auf einem saß
Etienne, mit Ketten gefesselt, die selbst ein Bluttrinker nicht zerreißen
konnte. Neben dem zweiten stand Jan und rieb sich unbewusst die Handgelenke.
Offenbar war er eben erst aus einer ähnlichen Lage befreit worden.
Endlich erspähte Tony, wonach sie Ausschau gehalten hatte: Neben dem Eingang,
im Halbdunkel für sterbliche Augen kaum auszumachen, lagen zwei von Ketten
umschlungene Gestalten, von denen sie instinktiv wusste, dass es Lukas und
Johann waren.
Nora folgte Tonys Blick. Ein Keuchen entrang sich ihrer Kehle. Die Hoffnung,
die Männer könnten vielleicht doch noch die ersehnte Hilfe bringen, hatte sich
endgültig zerschlagen. Dennoch verspürte Tony auch Erleichterung. Zumindest
lebten die beiden noch.
Der Vorhang, der die Eingangstür verdeckte, wurde zur Seite geschoben. Zwei
weitere Bluttrinker traten ein.
36
Jan wich ein paar Schritte zurück.
Die Männer waren groß und wirkten durchtrainiert. Einer der beiden war so
muskulös gebaut wie Johann. Sein blondes Haar und die braunen Augen ließen ihn
wie eine vergrößerte Ausgabe von Jan wirken.
„Helmar!“
Jan blieb stehen, erwartete seinen Vater, der weiter auf ihn zu kam und nur
einen Schritt vor ihm haltmachte. Helmar wirkte ruhig und gefasst. Tony war
nicht die Einzige, die überrascht keuchte, als seine Faust unvermittelt nach
vorne schoss.
Jan versuchte den Hieb abzublocken, aber er war weder schnell noch stark genug.
Die Faust krachte mit einem knirschenden Geräusch in Jans Kiefer. Er taumelte,
Blut quoll aus seinem Mund. Tony war überzeugt, dass der Kiefer gebrochen war.
Etienne zerrte an seinen Fesseln, dass sein Stuhl auf dem
glatten Boden ins Rutschen geriet. Doch ein Bluttrinker, in dem Tony Harald
Quince zu erkennen glaubte, war bereits bei ihm und hielt ihn fest.
Jan wurde brutal nach hinten gerissen, von einem Mann mit entsetzlichen
Brandnarben im Gesicht. Konnte das der flüchtige Verbrecher Ludwig Breitner
sein?
Helmar gab seinem Sohn keine Gelegenheit Atem zu holen.
Mehrere Fausthiebe von Knochen brechender Gewalt trafen ihn in die Magengrube.
Erst als Jan schlaff in Breitners Griff hing, hielt Helmar inne.
„Lass ihn los!“, raunzte er. Breitner ließ Jan zu Boden
fallen, beobachtete Helmar gespannt, während der sich die Fäuste rieb. Einen
Augenblick herrschte Stille, nur unterbrochen von den verängstigten Atemzügen
der gefesselten Sterblichen.
Ebenso unvermittelt wie zuvor machte Helmar einen Schritt auf seinen Sohn zu
und begann mit der gleichen Brutalität nach ihm zu treten.
Er zielte zwischen Jans Beine. Wenn sein Opfer sich zusammenkrümmte, nahm er
sich dessen Kopf vor, bis er ihn erneut in den Genitalien treffen konnte.
Jan schrie nicht. Tony hörte nur seinen keuchenden Atem und die widerwärtig
dumpfen Geräusche, mit denen die Tritte seinen Körper trafen.
Neben Tony kam die gedrängt sitzende Gruppe Sterblicher in Bewegung. Yvette
gelang es, enger an Thomas heranzurutschen. Sie flüsterte hektisch ins Ohr des
sich verzweifelt windenden jungen Mannes.
Jan war bewusstlos, als Helmar endlich aufhörte. Blut
sickerte ihm aus Mund, Nase und Ohren.
„Fessel ihn!“
Während Breitner massive Ketten um Jans verkrümmte Glieder schlang,
Weitere Kostenlose Bücher