Blutvertrag
eine Substanz, die dem Narkotikum im Betäubungspfeil entgegenwirkte. Durch diese chemische Unterstützung würde sie nicht nur schneller aufwachen, sondern dann auch sofort bei klarem Verstand sein.
Krait lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und beobachtete, wie ihre Augen unter den Lidern zu zucken begannen.
Sie bewegte den Mund, als wollte sie einen schlechten Geschmack loswerden. Ihre Zunge kam zum Vorschein und leckte über die Lippen.
Als sie zum ersten Mal die Augen öffnete, war ihr Blick verschwommen, und die Lider gingen wieder zu. Das wiederholte sich noch einmal.
»Tun Sie nicht so«, sagte er. »Ich weiß, dass Sie jetzt wieder bei Bewusstsein sind.«
Mary richtete sich auf ihrem Stuhl ein wenig auf und blickte auf die Handschellen, mit denen ihr linkes Handgelenk an die Armlehne gefesselt war. Dann wanderte ihr Blick auf die Injektionsstelle am rechten Arm und blieb schließlich auf der benutzten Spritze haften, die auf dem Tisch lag.
Als sie Krait schließlich in die Augen sah, hätte er die Frage erwartet, was er ihr angetan habe, doch sie sagte nichts. Sie starrte ihn nur an und wartete offenbar darauf, was er zu sagen hatte.
Beeindruckt schenkte er Mary ein Lächeln. »Meine Liebe, ich muss sagen, Sie sind ein ganz schönes Früchtchen.«
»Ich bin kein Früchtchen«, sagte sie.
53
Die Wellen rollten heran und brachen sich an Felsen, die aussahen wie Schildkrötenpanzer. Gischt spritzte auf den Stein. Das rhythmische Donnern und das Rauschen dazwischen klangen wie die Stimmen der unzähligen Toten, die das Meer verschlungen hatte und die jetzt in tausend verschiedenen Sprachen zugleich flüsterten.
Der Park erstreckte sich an der Steilküste entlang. An unter Palmen stehenden Picknicktischen saßen Leute, die Mittagspause machten und ihre Sandwiches auspackten. Jogger mit grimmigen Gesichtern trabten über die Wege.
Tim und Linda schlenderten von einem Aussichtspunkt zum nächsten, lehnten sich ans Geländer und sahen zu, wie das Meer anbrandete und von der Küste empfangen wurde.
Beide hatten eine nervenaufreibende Menge Koffein zu verarbeiten, während er auf sich wirken ließ, was Linda ihm erzählt hatte. Diese wiederum freundete sich mit der Tatsache an, dass sie zum ersten Mal seit mehr als fünfzehn Jahren über das Schicksal ihrer Familie gesprochen hatte.
»Merkwürdig«, sagte sie, »dass gerade dann, wenn ich mich bereit fühle zu leben, wirklich zu leben, jemand kommt, um mich umzubringen.«
»Der ist zwar gekommen, aber umbringen wird er dich nicht.«
»Woher nimmst du bloß deine Zuversicht?«, fragte sie.
Er hielt einen Papierbeutel mit den letzen Schokoladekeksen aus dem Café hoch, die sie mitgenommen und während des Spaziergangs verzehrt hatten.
»Zucker«, sagte er.
»Die Frage war ernst gemeint, Tim.«
Er beobachtete die Wellen, und obwohl Linda ihn nicht drängte, sagte er schließlich: »Seit über sieben Jahren weiß ich schon, dass etwas auf mich zukommt, womit ich fertig werden muss.«
»Und was genau?«
»Es würde zu hochtrabend klingen, wenn ich es Schicksal nennen würde.«
»Wir haben doch alle ein Schicksal.«
»Ja, aber es ist eher etwas … das mir im Blut liegt.«
»Was liegt dir denn im Blut?«, wollte sie wissen.
»Nichts, worauf ich stolz wäre. Ich habe es mir nicht verdient. Es ist einfach etwas, das da ist.«
Sie wartete.
»Als ich es entdeckt habe, da hat es mir ein wenig Angst gemacht«, fuhr er fort. »Das tut es noch immer. Dazu kommt noch die Art und Weise, wie die Leute darauf reagieren. Das kann peinlich sein.«
Unter lautem Kreischen segelten Möwen durch den Himmel. Eine ließ sich fallen und verschwand im Meer.
»Ich habe mir eingeredet, das Maurerhandwerk sei eine gute und ehrliche Sache und das Beste für mich. Der Meinung bin ich auch tatsächlich.«
Zwischen zwei Wellen tauchte die Möwe wieder auf und stieg in die Höhe, im Schnabel einen Fisch.
»Aber früher oder später lässt sich der Teil von dir, den du versuchst zu unterdrücken, nicht länger niederhalten. Es liegt dir einfach im Blut und setzt sich irgendwann durch.«
Im Sprühnebel der Wellen, aber außerhalb von deren Reichweite, balancierten zwei Männer und eine Frau unten auf den Felsen. Sie sammelten Krebse und ließen sie in hellgelbe Plastikeimer fallen.
»Außerdem läuft das Leben irgendwie ohnehin so, dass es dich zwingt, der zu sein, der du bist.«
Das Wegwerfhandy läutete.
»Geh nicht dran«, sagte Linda. »Sag erst, was du sagen
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