Blutvertrag
in Besitz nahm, wanderte Krait durchs Wohnzimmer, um mit den Fingern über die obere Kante der Türrahmen und die von unten nicht sichtbare Oberseite der Schränke zu fahren. Erfreut stellte er fest, dass dort alles so sauber war wie das, was man direkt im Blick hatte.
Als er die Sofakissen und das Polster der Sessel auf Verfärbungen durch Haaröl und Schweiß untersuchte, fand er nichts. Auch durch Essensreste oder Getränke war kein einziger Fleck entstanden.
Mit seiner Taschenlampe spähte er unters Sofa und unter ein Sideboard. Keinerlei Staubflocken.
Zufrieden, dass die Bewohner seinem Reinlichkeitsstandard entsprachen, ließ Krait sich entspannt auf dem Sofa nieder. Die Füße legte er auf den Couchtisch.
Anschließend verschickte er zwei SMS. In der einen erklärte er kurz und bündig seine Lage, in der anderen forderte er einen neuen Wagen, ein wesentlich besseres Waffenarsenal und eine Reihe von Hightech-Geräten an, die ihm nun, da seine Aufgabe komplexer geworden war, eventuell von Nutzen sein konnten.
Er gab die Adresse an, unter der er sich derzeit aufhielt, und bat darum, ihm den Liefertermin mitzuteilen, sobald dieser abzusehen war.
Dann zog er sich bis auf die Unterwäsche aus und trug seine Kleider in die Küche.
16
Der Himmel sank tiefer herab, und der Wind frischte langsam auf, während Tim durch die Nacht fuhr. Er hatte kein definitives Ziel im Sinn, aber während er sich einen Weg über Nebenstraßen suchte, bewegten sie sich allmählich südwärts und auf die Küste zu.
Ohne eine Spur von Angst zu zeigen, informierte Linda ihn über Dennis Jolly und seine großen Ohrläppchen, über den Chevy, der sich selbst zerlegt hatte, und über ihr Bedürfnis, eine Toilette zu benutzen.
Sie hielten an einer Tankstelle, füllten den Tank und taten beide, was dringend nötig war. Anschließend besorgte sich Tim in dem kleinen Supermarkt nebenan eine Packung Kautabletten gegen zu viel Magensäure. Er wählte eine Sorte mit Vanillegeschmack.
Tim brauchte die Tabletten, aber Linda lehnte dankend ab, als er ihr eine anbot. Ihre unerschütterliche Ruhe faszinierte ihn zunehmend.
Als sie wieder unterwegs waren, berichtete er ihr, wie der Chevy erst den Hydranten und dann den Gartenzaun umgelegt hatte, und wie der bärtige Mann mit Bierbauch aus dem Haus gekommen war.
»Du hast die Reifen plattgeschossen?«, fragte sie.
»Einen auf jeden Fall, vielleicht auch zwei.«
»Mitten auf einer öffentlichen Straße?«
»So, wie die Sache gelaufen ist, hatte ich keine Zeit, die Straße abzusperren, damit mir niemand in die Quere kommt.«
»Unglaublich.«
»Eigentlich nicht. An vielen Orten der Erde wird auf den Straßen mehr geschossen als gefahren.«
»Wie bringt ein gewöhnlicher Maurermeister eigentlich plötzlich den Mut auf, sich einem von einem Killer gefahrenen Wagen in den Weg zu stellen und dessen Reifen plattzuschießen? «
»Ich bin kein gewöhnlicher Maurermeister, sondern ein hervorragender Maurermeister.«
»Irgendwas bist du tatsächlich, ich weiß bloß noch nicht, was«, sagte sie und nahm das Magazin aus der Pistole, die sie ihm geborgt hatte.
»Dann stecken wir ja in derselben Schublade«, sagte er. »Nenn mir doch mal den Titel eines der Romane, die du geschrieben hast.«
»Verzweiflung.«
»Das ist einer von deinen Titeln?«
»Korrekt.«
»Sag mir noch einen.«
»Eine unerbittliche Krebserkrankung.«
»Und noch einen.«
»Die Hoffnungslosen und die Toten.«
»Jetzt muss ich raten – auf die Bestsellerliste sind die nicht gekommen.«
»Nein, aber sie haben sich ganz gut verkauft. Ich habe mein Publikum.«
»Wie ist bei dem die Selbstmordrate? Also, das kapiere ich nicht. Du hast gesagt, du schreibst deprimierende, dämliche, herzzerreißende Bücher. Aber wenn ich dich so anschaue, sehe ich niemanden, der chronisch depressiv ist.«
Sie füllte das leere Magazin mit frischen Neun-Millimeter-Patronen aus ihrer Handtasche auf. »Ich bin nicht depressiv. Früher dachte ich einfach nur, ich müsste es sein.«
»Wieso dachtest du, dass du das sein müsstest?«
»Weil ich mit Leuten von der Uni herumgehangen bin, und die stehen nun mal auf jede Sorte von Untergangsstimmung. Und wegen der ganzen Sachen, die passiert sind.«
»Was für Sachen?«
Statt zu antworten, sagte sie: »Lange war ich so zornig und verbittert, dass in mir gar kein Platz für Depressionen war.«
»Dann hättest du eigentlich zornige Bücher schreiben müssen. «
»Es ist auch ein wenig Zorn darin,
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