Blutvertrag
wieder auf den Teller zurück.
»Ist etwas nicht in Ordnung, meine Liebe?«, fragte er.
»Ich muss … jetzt gehen. Ein Termin. Den hatte ich ganz vergessen.«
Als sie den Stuhl zurückschieben wollte, legte er seine Hand auf ihre. »Sie können doch jetzt nicht einfach weglaufen, Cynthia!«
»Mein Gedächtnis ist wirklich wie ein Sieb. Ich hatte ganz vergessen, dass …«
Krait packte ihre Hand fester. »Jetzt bin ich aber neugierig. Was war mein Fehler?«
»Ihr Fehler?«
»Sie zittern, meine Liebe. Tja, Sie können sich eben nicht gut verstellen. Was war mein Fehler?«
»Es ist ein Termin beim Zahnarzt.«
»Wann denn – um halb sieben Uhr morgens?«
Verdutzt blickte sie zur Wanduhr.
»Cynthia? Cindy? Ich wüsste wirklich gerne, welchen Fehler ich gemacht habe.«
Den Blick noch immer auf die Uhr gerichtet, erwiderte sie: »F-Frankie ist kein Mann.«
»Und Judi hört sich erst recht nach keinem Mann an. Aha. Ich verstehe. Ein sympathisches lesbisches Paar. Tja, das ist schon in Ordnung. Damit habe ich überhaupt kein Problem. Ich bin sogar total dafür.«
Er tätschelte ihr erneut die Hand und griff nach dem Stück Toast, von dem sie nicht mehr hatte abbeißen können. Er tunkte es ein.
Unfähig, ihn anzusehen, heftete sie den Blick auf ihren Teller. »Haben Sie ihnen etwas angetan?«, fragte sie.
»Brittany und Jim? Natürlich nicht, meine Liebe. Die sind zur Arbeit gefahren, genau wie Sie dachten, um dort nach Bonussen und Aktienoptionen zu gieren. Ich bin erst hier eingedrungen, als sie fort waren.«
Er biss von dem Toast ab. Einmal, dann noch einmal. Den Rest steckte er sich ganz in den Mund.
»Darf ich gehen?«, fragte sie.
»Meine Liebe, lassen Sie mich Ihnen das Ganze erklären. Der Regen hat meine Kleidung ruiniert. Ich warte hier auf eine Lieferung mit frischen Sachen. Für eine Begegnung mit der Polizei habe ich leider keine Zeit.«
»Ich würde einfach nach Hause gehen«, sagte sie.
»Wissen Sie, Cynthia, ich habe nie gelernt, anderen Menschen zu vertrauen.«
»Ich werde nicht die Polizei rufen. Einige Stunden lang.«
»Was meinen Sie, wie lange Sie wohl warten könnten?«
Sie hob den Kopf und sah ihm in die Augen. »So lange, wie Sie es mir sagen. Ich gehe einfach nach Hause und setze mich hin.«
»Sie sind eine sehr liebenswürdige Person, Cynthia.«
»Ich wollte immer nur …«
»Was wollten Sie immer nur, meine Liebe?«
»Ich wollte immer nur, dass alle es gut haben.«
»Natürlich wollten Sie das. So sind Sie eben. Ganz genau so. Und wissen Sie was? Ich glaube, Sie würden vielleicht wirklich tun, was Sie sagen.«
»Ganz gewiss!«
»Ich glaube, Sie würden vielleicht einfach nach Hause gehen und stundenlang still dasitzen.«
»Ich gebe Ihnen mein Wort. Ja, das tue ich!«
Er beugte sich zur Seite und nahm die Pistole vom Stuhl.
»Oh, bitte«, sagte sie.
»Nun ziehen Sie bitte keine voreiligen Schlüsse, Cynthia! «
Sie warf einen Blick auf die Wanduhr. Er wusste nicht, was sie dort zu sehen hoffte. Die Zeit war niemandes Freund.
»Kommen Sie mit, meine Liebe.«
»Weshalb? Wohin?«
»Nur ein paar Schritte. Kommen Sie.«
Sie versuchte aufzustehen, doch sie hatte keine Kraft.
Vor ihrem Stuhl stehend, streckte er ihr die linke Hand hin. »Lassen Sie mich Ihnen helfen.«
Statt vor seiner Berührung zurückzuschrecken, nahm Cynthia seine Hand und hielt sich daran fest. »Danke.«
»Wir gehen nur durch die Küche zu der Toilette dort drüben. Das ist nicht weit.«
»Ich kann das nicht …«
»Was können Sie nicht, meine Liebe?«
»Ich kann das einfach nicht verstehen.«
Er zog sie auf die Füße. »Nein, das können Sie nicht. So viele Dinge auf der Welt übersteigen unser Vorstellungsvermögen, nicht wahr?«
35
Die Bücherei, ein gedrungener Backsteinbau mit schmalen, vergitterten Fenstern, erinnerte an eine Festung. Vielleicht hatten vorausschauende Bibliothekarinnen für den Fall vorsorgen wollen, dass man die Bücher eines Tages gegen den Angriff barbarischer Horden verteidigen musste.
Kurz vor der Morgendämmerung parkte Pete Santo in der Nähe des Eingangs.
Im letzten Februar hatte ein fehlgeleiteter Jugendlicher – wie die Medien ihn anschließend bezeichneten – sich über Nacht in der Bücherei versteckt. Eine Benefizaktion zum Erwerb neuer Bücher hatte gerade vierzigtausend Dollar eingebracht, die er rauben wollte, um sich damit ein schönes Leben zu machen.
Wären die Medienvertreter ehrlich gewesen, so hätten sie ihn als hirnverbrannten
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