Blutvertrag
legte.
Hinter einer Falttür in der Ecke verbarg sich eine Waschmaschine samt Trockner. »Zieh deine Sachen aus und wirf sie in den Trockner«, sagte Linda. »Die Decke kannst du als Umhang verwenden.«
Sie griff sich eines der Handtücher, trat zum Spülbecken und machte sich daran, ihre Reisetasche abzutrocknen.
»Sag mal, habe ich eigentlich kein Recht auf ein wenig Intimsphäre?«, fragte er.
»Du meinst wohl, ich wäre scharf darauf, mir deinen nackten Hintern anzuschauen, was?«
»Das wäre dir schon zuzutrauen.«
»Ich gehe gleich nach oben, um mich kurz unter die Dusche zu stellen.«
»Ich habe nämlich meinen Stolz.«
»Das ist mit das Erste, was mir an dir aufgefallen ist, gleich nach deinem Quadratschädel. Wie lange sind wir hier in Sicherheit?«
»Länger als zwei Stunden sollten wir nicht bleiben. Besser nur anderthalb.«
»Hier unten ist ein zweites Badezimmer, falls du dich auch duschen willst. Wenn deine Jeans und dein Hemd aus dem Trockner kommen, können wir die Sachen aufbügeln. «
»Irgendwie komme ich mir komisch vor«, sagte er.
»Ich verspreche, nicht zurückzuschleichen, um dich heimlich zu beobachten.«
»Darum geht’s gar nicht. Ich finde es nur komisch, das Haus einer Fremden einfach so in Beschlag zu nehmen.«
»Das ist keine Fremde, sondern eine Freundin von mir.«
»Für mich ist sie aber durchaus eine Fremde. Wenn das alles vorbei ist, werde ich was richtig Nettes für sie tun müssen.«
»Du könntest ihre Hypothek bezahlen.«
»Das wäre eine teure Dusche.«
»Ich hoffe, du legst es nicht darauf an, immer möglichst billig davonzukommen. Mit einem billigen Typen könnte ich nie zusammenleben.«
Ihre zwei Gepäckstücke in den Händen, verließ sie die Küche.
Einen Augenblick stand er da und dachte über das letzte Wort nach, das sie so lässig hingeworfen hatte: zusammenleben . Wenn er intensiv genug darüber nachdachte, brauchte er seine Sachen wahrscheinlich gar nicht in den Trockner tun, dann trockneten sie ihm am Leib.
Statt es auszuprobieren, zog er sich aus, deponierte alles im Trockner und wischte mit einem Handtuch den Boden sauber. Die anderen Handtücher nahm er mit ins Badezimmer.
Das warme Wasser fühlte sich gut an. Womöglich hätte Tim länger unter der Dusche gestanden, hätte der Ablauf im Boden ihn nicht an Kravets erweiterte Pupillen erinnert, die nach Licht gierten, außerdem kam ihm die Duschszene aus Hitchcocks Psycho in den Sinn.
Gewaschen, abgetrocknet und in die Decke gehüllt, kehrte er in die Küche zurück. Nun hatte er Hunger, fühlte sich aber nicht berechtigt, in einem fremden Kühlschrank zu stöbern.
Er setzte sich auf einen Küchenstuhl, um zu warten, und zog die Decke wie eine Mönchskutte fest um sich.
Am Abend hatte es in Lindas Haus, bevor sie ihre Flucht begonnen hatten, einen Moment gegeben, in dem ihr Anblick ihn mit allerhand Sehnsüchten, aber auch mit Furcht erfüllt hatte. Da hatte er sich selbst eingeschärft, immer an diesen sich enger zuziehenden Knoten des Schreckens und den sich lockernden Knoten wilder Begeisterung zu denken, an diese beiden Dinge, die ihn zugleich zu fesseln und zu befreien schienen.
Für dieses Gefühl war ihm damals keine Bezeichnung eingefallen. Eines hatte er jedoch begriffen: Wenn er es irgendwann benennen konnte, dann würde er verstehen, wieso er unvermittelt aus dem ruhigen Leben, in das er sich zurückgezogen hatte, in ein neues Dasein getreten war, das kein sicheres Geländer besaß.
Inzwischen wusste er, worum es ging. Um einen Sinn im Leben.
Den hatte sein Leben früher schon einmal besessen. Damals hatte er sich durchaus wohl dabei gefühlt, Verpflichtungen einzugehen.
Aus guten Gründen hatte er sich dann in ein Leben zurückgezogen, das aus einem monotonen Beruf, unschuldigen Vergnügungen und so wenig Nachdenken bestand, wie man es sich überhaupt nur leisten konnte.
Eine Art Erschöpfung des Herzens hatte sich über ihn gelegt, eine unbestimmte Desillusioniertheit und ein Gefühl der Vergeblichkeit. Nichts davon war in reiner Form dagewesen; alles hatte sich mit anderen Gefühlen gemischt, die er nicht so leicht definieren konnte. Bloße Erschöpfung, pure Desillusioniertheit und ein klares Gefühl der Vergeblichkeit hätte er vielleicht überwinden können, aber die Unbestimmbarkeit dieser Emotionen führte dazu, dass es schwieriger war, mit ihnen umzugehen.
Sobald der wichtigste Zweck seines Daseins darin bestanden hatte, Stein auf Stein und Ziegel auf Ziegel
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