Blutvertrag
Trottel bezeichnet, aber das hätte den Knaben womöglich so gekränkt, dass er endgültig auf die schiefe Bahn geraten wäre.
Obwohl er bereits achtzehn war, hatte der junge Mann nicht kapiert, dass das Geld in Form von Schecks eingegangen und in einer Bank deponiert worden war. Er traute den Banken nämlich nicht. Wie er bei der Vernehmung sagte, würden die von Leuten betrieben, die »einen aussaugen wie Vampire«. Deshalb bewahrte er seine spärlichen finanziellen Mittel in bar auf und nahm an, jeder, der so clever wäre wie er – oder noch cleverer – würde das Gleiche tun.
Als er bei der Durchsuchung des Gebäudes nur eine Metallkassette mit ein wenig Wechselgeld fand, beschloss er zu
warten, bis morgens die erste Bibliothekarin aufkreuzte. Der wollte er seine Pistole unter die Nase halten und die vierzigtausend verlangen.
Zu seiner Überraschung trafen stattdessen schon um fünf Uhr morgens drei Männer einer Putzkolonne ein, um vier Stunden lang ihrer Arbeit nachzugehen. Kurz entschlossen bedrohte er eben diese mit seiner Pistole und verlangte ihre Geldbeutel.
Womöglich hätte er die Sache erfolgreich durchgezogen, hätten die Putzmänner nicht die ruinierten Bücher gesehen. Sie gerieten in Wut.
In den einsamen Stunden, die vergangen waren, seit der fehlgeleitete Jugendliche die Suche nach den vierzigtausend aufgegeben hatte, war er nicht untätig gewesen. Er hatte allerhand Bücher zusammengetragen, die seiner Meinung nach »voller falscher Ideen« steckten. Die Urteile hatte er aufgrund der Titel und der Einbandillustrationen gefällt.
Die Putzkolonne bestand keineswegs aus glühenden Buchliebhabern. Die drei Männer waren wütend auf den Burschen, weil er die Bücher nicht zerrissen oder angezündet, sondern drauf gepinkelt hatte, und es war ihr Job, diese Schweinerei zu beseitigen.
Sie lenkten ihn erst ab, stürzten sich dann auf ihn, nahmen ihm die Waffe ab und prügelten ihn windelweich. Anschließend riefen sie die Polizei.
Pete Santo, der bei diesem Einsatz dabei gewesen war, hatte den Männern damals einen strengen, aber nicht ganz ehrlichen Vortrag darüber gehalten, dass es nicht ratsam sei, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen.
Nun ließ er Zoey im Wagen, schloss ab und lief durch den Regen zum schützenden Vordach. Durch die Glasscheiben in den Türen sah er Licht und machte sich durch lautes Klopfen bemerkbar.
Hinter den Scheiben tauchte ein Putzmann auf. Pete hielt seine Dienstmarke ans Glas, aber der Mann ließ ihn ein,
ohne diese genauer zu studieren. »Hallo, Detective Santo«, sagte er. »Was tun Sie denn hier? Heute Nacht hat niemand auf die Bücher gepinkelt.«
»Haben Sie gehört, dass er die Bücherei verklagt hat?«, fragte Pete.
»Wahrscheinlich streicht er damit ein paar Millionen ein.«
»Wenn das tatsächlich funktioniert, pinkle ich mal auf ein paar Bücher.«
»Da werden Sie nicht der Einzige sein.«
»Hören Sie, ich weiß, dass die Bücherei erst in ein paar Stunden aufmacht, aber ich muss einen der Computer hier benutzen.«
»Hat die Polizei denn keine eigenen?«
»Es geht um eine persönliche Angelegenheit. Im Büro kann ich das nicht machen, und mein Computer zu Hause ist abgestürzt.«
»Na, meine Erlaubnis brauchen Sie sicher nicht. Dürfen Cops nicht überall hin, wo sie wollen, egal, zu welcher Tageszeit? «
»In der Verfassung steht es zwar ein wenig anders, aber so in etwa stimmt es schon.«
»Sie wissen doch, wo die Computer sind, oder?«
»Klar. Das weiß ich noch.«
Man hatte dem Teufel des Analphabetismus einen Vorposten im Tempel des Wortes eingeräumt. Zwei Reihen Bücherregale waren versetzt worden, um Platz für sechs Bildschirmarbeitsplätze zu schaffen.
Pete setzte sich, fuhr den Computer hoch und begab sich erneut ins Netz. Bald war er wieder mit den Cream & Sugar-Morden beschäftigt.
36
Cynthia Norwood war eine vitale Sechzigerin gewesen, bis das Gespräch beim Thema Stierlauf eine ungeahnte Wendung genommen hatte. Anschließend schien sie innerhalb einer Minute um zwanzig Jahre gealtert zu sein.
Ihre zuvor lebhaften Augen wirkten trüb. Aller Charme war aus ihrem Gesicht gewichen. Nun waren ihre Züge so schlaff, dass sie den Eindruck machte, unter Drogen zu stehen.
Ihre Beine waren wackelig. Sie schaffte es nicht, die Füße zu heben. Selbst mit Kraits Unterstützung schlurfte sie mehr, als dass sie gegangen wäre.
Mit kleinlauter, verwirrter Stimme fragte sie: »Wieso gehen wir zur Toilette?«
»Weil die kein
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