Blutvertrag
Kakerlaken?«
»Das willst du gar nicht wissen. Erzähl mir lieber was über Mrs. Chou.«
»Die ist unglaublich dynamisch. Wie der Rest der Familie hat sie im Café gearbeitet. Normalerweise war sie ab mittags bis zum frühen Abend da. An dem Morgen, als es passiert ist, war sie noch zu Hause.«
Das Haus der Chous war ein eleganter, moderner Bau in
den Hügeln von Laguna, der mit einer Seite über den Rand eines Canyons ragte.
Königinpalmen flankierten den mit Schiefer gepflasterten Weg und warfen rabenschwarze Flügelschatten auf den unregelmäßigen Stein.
Lily Chou kam sofort an die Tür. Sie war gut fünfzig Jahre alt, klein, schlank und hatte eine porzellanglatte Haut, deren Farbe an altes Elfenbein erinnerte. Gekleidet in eine schwarze Seidenhose und eine dazu passende Bluse mit Stehragen, war sie eine Erscheinung, die ihre geringe Körpergröße Lügen zu strafen schien.
Bevor die beiden Gelegenheit hatten, sich vorzustellen, fragte sie: »Ach, sind Sie nicht … Linda? Doppelter Espresso mit Zitronenschale?«
»Genau«, sagte Linda. »Wie können Sie sich bloß nach so langer Zeit daran erinnern?«
»Das Café war unser Leben. Es war so schön zu sehen, dass die Leute zufrieden mit dem waren, was wir Ihnen serviert haben.«
Ihre Stimme war melodisch. Die Worte klangen wie gesprochene Musik.
»Sie waren auf jeden Fall kein Stammgast«, sagte sie zu Tim. »Aber selbst wenn Sie nur ab und zu mal da gewesen wären, hätte ich bestimmt nicht vergessen, was so ein Riese bestellt hat. Wie mögen Sie Ihren Kaffee?«
»Schwarz, als Espresso oder intravenös.«
Lily Chou sah Linda an und lächelte. »An den hätte ich mich auf jeden Fall erinnert!«
»Er hinterlässt einen Eindruck wie ein plötzlich lautlos herabfallender Stein«, sagte Linda.
»Schön formuliert«, meinte Lily Chou.
Linda stellte Tim vor. »Mrs. Chou …«, sagte sie dann.
»Lily.«
»Gern. Lily, wenn ich Ihnen verrate, weshalb wir hier sind, dann halten Sie mich hoffentlich nicht für verrückt.
Das würden die meisten Leute nämlich tun. Ich habe den Verdacht, dass jemand versucht, mich umzubringen … weil ich früher bei Ihnen Kaffee getrunken habe.«
Die klaren, dunklen Augen der kleinen Frau wurden weder weiter noch schmaler. »Ja, das ist durchaus möglich. «
Lily Chou führte die beiden in ein Wohnzimmer, dessen abgestufte Decke einen Ton heller war als die aprikosenfarben schimmernden Wände.
Glänzende, bronzefarbene Vorhänge umrahmten eine Fensterwand, durch die man das im Morgenlicht purpurn leuchtende Meer mit der Insel Catalina sah. Am Himmel standen nur noch ein paar Wolkenfetzen.
Das Panorama im Blick, setzten Linda und Tim sich auf dunkle Sandelholzsessel mit roten Sitzkissen und Pfingstrosenmedaillons in den breiten Rückenlehnen.
Ihre Gastgeberin entschuldigte sich ohne weitere Erklärung. Die in Pantoffeln steckenden Füße machten weder auf den Teppichen noch auf dem Parkett irgendein Geräusch.
Aus dem Canyon, über dessen Rand das Haus ragte, stieg ein Rotschwanzbussard auf und glitt in einer langsam größer werdenden Spirale durch die Luft.
Im Wohnzimmer standen auf hohen Räuchersäulen zwei aus Stein geschnitzte chinesische Drachen. Sie schienen Tim zu beobachten, während er selbst den Bussard beobachtete.
Eine gewichtige Stille sammelte sich im Haus. Tim hatte das Gefühl, es wäre nicht nur unhöflich, sondern sogar grob gewesen, sie zu stören.
So rasch, dass eine Espressomaschine bereits einsatzbereit gewesen sein musste, kam Lily mit drei doppelten Portionen in weißen Tassen zurück. Diese standen auf einem roten Lacktablett, das sie auf ein Sandelholztischchen mit gebogenen Beinen und eleganten Zierstreben stellte.
Das Panorama im Rücken, setzte sie sich auf ein schmales chinesisches Bett, das als Sofa diente. In die Rücken-und
Seitenlehnen waren Drachen geschnitzt, das rote Polster passte zu dem der Sessel.
Sie nahm einen Schluck Espresso, dann sagte sie: »Der liebe Dr. Avarkian war Stammgast bei uns.«
»Wir haben ein paar Mal auf der Terrasse miteinander geplaudert, wenn unsere Tische nebeneinanderstanden«, erinnerte sich Linda.
»Ein Universitätsprofessor«, sagte Lily zu Tim. »Er ist an einem Herzinfarkt gestorben, obwohl er noch recht jung war.«
»Wie jung?«, fragte Tim.
»Sechsundvierzig. Das war drei Monate nach dem Brand.«
»Gut, das ist wirklich noch ziemlich jung, aber selbst in dem Alter haben manche Leute einen Herzinfarkt.«
»Die nette Evelyn Nakamoto
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