Blutvertrag
fünf Menschen ermordet worden. Wegen etwas, das sie wussten, ohne es zu wissen?«
»Offenbar ist irgendetwas geschehen, während ihr alle eines Tages zur selben Zeit dort wart. Als ihr auf der Terrasse Kaffee getrunken habt, jeder an seinem eigenen Tisch.«
»Aber auf der Terrasse ist nie etwas passiert!«, protestierte Linda. »Nichts Besonderes jedenfalls. Wir haben unseren Kaffee getrunken und ein Stück Kuchen oder ein Sandwich gegessen. Haben Zeitung gelesen und den Sonnenschein genossen … und dann sind wir nach Hause gegangen. «
Tim trat aufs Gaspedal. »Der Tiger war da, aber niemand hat ihn gesehen.«
Sie fuhren durch die Hügel zur Küste hinunter. »Was nun?«, fragte Linda.
»Weiß noch nicht.«
»Wir haben nur zwei Stunden geschlafen. Bestimmt finden wir ein Motel, wo man sich nicht wundert, wenn du bar bezahlst.«
»Ich glaube nicht, dass ich einschlafen könnte.«
»Ich eigentlich auch nicht. Also … wie wäre es dann, wenn wir zu einem Café fahren, das eine Terrasse hat? Setzen wir uns doch dort draußen hin. Vielleicht brauche ich nur genügend Sonne und Espresso, um mich zu erinnern.«
47
Nachdem Krait kaum mehr als zwei Stunden geschlafen hatte, wurde er um Viertel vor elf von dem vibrierenden Handy geweckt, das er noch immer in der Hand hielt.
Augenblicklich wach schlug er die Decke zurück und setzte sich auf die Kante von Teresa Mendez’ Bett, um zu lesen, was sich als ärgerliche Textnachricht von seinem Unterstützungsteam entpuppte.
Man hatte zwei Fragen. Zum einen wollte man wissen, weshalb er im Haus von Brittany und Jim drei Personen getötet hatte.
Noch nie hatte man ihn gebeten, einen Kollateralschaden zu erklären. Er ärgerte sich über diese Frage, weil sie anzudeuten schien, er habe womöglich unnötigerweise jemanden eliminiert.
Wäre er seinem ersten Impuls gefolgt, so hätte er geantwortet: Eigentlich seien die drei besser dran, weil sie nun tot waren, was für jeden gelte, der momentan am Leben sei, denn dann fiele er der Welt nicht weiter zur Last. Wenn man ihm schon derart arrogante Fragen stelle, so solle man nicht fragen, wieso er diese drei, sondern wieso er noch nicht jedermann getötet habe.
Außerdem wollte man wissen, wieso die Verfolgung von Linda Paquette ihn ausgerechnet in das Haus geführt hatte, wo jetzt drei Leichen lagen.
Diese Frage wollte er auf keinen Fall beantworten, weil sie eine geradezu unverschämte Verletzung seiner Privatsphäre darstellte. Man hatte ihn gebeten , eine bestimmte
Gnade zu gewähren. Ein Knecht war er deshalb noch lange nicht. Er war Herr über sein eigenes Leben, das gut war, weil es sich der Kunst des Todes widmete.
Solange man letzten Endes die Gnade empfing, um die man ihn gebeten hatte, und das war in diesem Fall der Tod von Linda Paquette, solange hatte man keinerlei Anrecht, ihn ob seiner Handlungen zur Rechenschaft zu ziehen. Empörend war das!
Abgesehen davon konnte Krait diesen Leuten nicht mitteilen, weshalb er in das Haus von Brittany und Jim eingedrungen war, denn sie wussten nicht, dass er kein eigenes Zuhause hatte. Sie dachten, er würde seinen Wohnort geheim halten, was für einen Mann mit einem derart blutigen Beruf nur vernünftig gewesen wäre.
Wenn er seine unkonventionelle Lebensweise erklärte, würde man ihn sicher nicht verstehen und die Beziehungen zu ihm vermutlich abbrechen. Schließlich waren diese Leute gewöhnliche Menschen; keiner von ihnen war ein Fürst der Erde wie er.
Statt eines eigenen Heims besaß er Millionen von Residenzen. Normalerweise wohnte er mit solcher Umsicht im Zuhause anderer Leute, dass diese seinen Besuch anschließend nicht einmal bemerkten.
Ab und zu kam er jedoch in eine Situation, aus der er sich nicht herausreden konnte. Dann schoss er sich den Weg eben frei.
Bisher hatte der Gentlemen’s Club sich hinsichtlich solcher Angelegenheiten nicht neugierig gezeigt. Dass es diesmal anders war, lag womöglich an der Menge: ein dreifacher Kollateralschaden im Rahmen einer einzigen Mission.
Er beschloss, beide Fragen zu ignorieren und nur mit einem Vers von Wallace Stevens zu antworten, einem Dichter, den er mochte, aber nicht begriff: DER EINZIGE KAISER IST DER KAISER DER EISKREM.
Wenn er Wallace Stevens las, wollte Krait manchmal nicht nur alle Menschen auf der Welt umbringen, sondern auch sich selbst. Das schien ihm der beste Beweis dafür zu sein, dass es sich um große Lyrik handelte.
DER EINZIGE KAISER IST DER KAISER DER EISKREM.
Darüber sollten
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