Blutvertrag
sitzen wir nun«, sagte Tim, »ohne beweisen zu können, was vorgefallen ist. Inzwischen sieht es sogar so aus, dass man dem Kerl selbst dann kein Haar krümmen würde, wenn wir auf Video aufgenommen hätten, wie er auf uns schießt.«
»Das heißt, inzwischen ist noch mehr passiert«, vermutete Pete.
»Das kann man wohl sagen.«
»Sagst du es mir?«
»Ich bin zu müde, um alles der Reihe nach zu erzählen. Sagen wir einfach, Linda und ich … wir haben es uns redlich verdient, noch am Leben zu sein. Ehrlich gesagt, staune ich, dass wir es noch sind.«
»Wahrscheinlich ist es euch ohnehin schon klar, aber selbst wenn ihr Glück habt und ihn erwischt, ist es trotzdem nicht vorbei. Ihr müsst auch die erwischen, für die er arbeitet.«
»Stimmt. Leider hab ich den Eindruck, die lassen sich nicht so leicht erwischen.«
»Und was machen wir nun?«, mischte sich Linda ein. »Nach allem, was wir erlebt haben, komme ich mir vor wie auf dem Präsentierteller. Egal, wo wir uns verstecken, er findet uns.«
In ihrer Stimme lag keine Furcht, und auch äußerlich sah sie ruhig aus.
Tim fragte sich, was sie wohl so stark gemacht hatte.
»Ich habe noch etwas für euch«, sagte Pete. »Vielleicht ist es von Bedeutung. Bei der Polizei von Laguna habe ich einen Freund namens Paco. Ein absolut zuverlässiger Bursche. Vor einer halben Stunde habe ich ihn angerufen, natürlich inoffiziell, und ihn über den Cream-and-Sugar-Fall ausgehorcht. Ich weiß, sage ich, dass die Sache noch nicht abgeschlossen ist, aber wird zurzeit aktiv ermittelt? Nein, sagt er, ermittelt wird nicht. Dann erzählt er mir, Lily Chou sei so außer sich vor Trauer, dass sie Verschwörungstheorien ersinnt. Sie meint, die Leute, die ihre Familie umgebracht haben, wären immer noch am Werk.«
»Lily ist die Frau von Charlie«, erklärte Linda. »Seine Witwe.«
»Was soll damit gemeint sein, dass die immer noch am Werk sind?«, fragte Tim.
»Na ja, Lily Chou ist offenbar steif und fest der Ansicht, innerhalb der vergangenen eineinhalb Jahre, also seit dem
Brand, seien mehrere frühere Stammgäste des Cafés unter verdächtigen Umständen zu Tode gekommen.«
Linda verschränkte die Arme und zitterte, als wäre es plötzlich Winter geworden.
»Unter verdächtigen Umständen?«, wiederholte Tim. »Was für Leute waren das?«
»Das hat Paco nicht gesagt, und ich wollte ihn nicht so unter Druck setzen, dass er Verdacht schöpft. Klar ist jedenfalls, dass man Lily Chou nicht ernst nimmt. Nachdem sie ihre ganze Familie verloren hat, wäre es durchaus verständlich, wenn sie vor Trauer nicht mehr klar denken könnte und sich irgendwelche wirren Geschichten ausmalen würde. Aber vielleicht wollt ihr ja trotzdem mit ihr sprechen.«
»Auf jeden Fall«, sagte Linda. »Ich weiß, wo die Chous früher gewohnt haben. Kann sein, dass Lily immer noch im selben Haus lebt.«
»Laut Paco ja. Er sagt, sie kann die Vergangenheit nicht ruhen lassen. Als könnte sie die Toten wieder zurückholen, wenn sie sich nur hartnäckig genug an sie klammert.«
In Lindas ausdrucksstarken grünen Augen sah Tim volles Verständnis für die hartnäckige Trauer, die Pete gerade beschrieben hatte.
»Nennt mir mal eure neue Handynummer«, sagte Pete. »Ich gehe gleich los, um mir selbst so ein Ding zu kaufen. Dann melde ich mich wieder. Ruft hier nicht noch mal an. Eigentlich hätte ich Santiago ohnehin nicht in die Sache hineinziehen dürfen, nicht einmal ansatzweise.«
»Ich weiß nicht, was du noch für uns tun könntest«, sagte Tim.
»Wenn ich nicht noch wesentlich mehr tun kann, als ich bisher getan habe, dann wäre ich eine ziemlich traurige Gestalt. Los, sagt mir schon die Nummer!«
Linda las sie von der Anmeldung ab.
»Ach, eines musst du noch wissen. Aber wahrscheinlich weißt du’s schon.«
»Was denn?«, fragte Tim.
»Mit dir rede ich gar nicht, Türsteher. Ich spreche mit deiner hübschen Begleiterin. Hörst du mir zu, Hübsche?«
»Mit beiden Lauschern, Heiliger.«
»Wie gesagt, wahrscheinlich weißt du es schon, aber du könntest nie in bessere Hände kommen als in die, in denen du gerade bist.«
Linda sah Tim in die Augen. »Das weiß ich«, sagte sie zu Pete, »seit er gestern Abend mein Haus betreten und erklärt hat, er verstünde nichts von moderner Kunst.«
»Das leuchtet mir jetzt aber nicht so recht ein«, sagte Pete.
»So ist es einfach«, erklärte Linda, »er hätte auch etwas ganz anderes oder gar nichts sagen können, und ich hätte trotzdem
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