Blutwahn - Der Schrecken am See
liebte, stattdessen war es jetzt ein Höllentrip. Und was war das eigentlich für eine Kreatur? Sah aus wie aus einem Horror-B-Movie. Gab es im idyllischen Allgäu wohl Atomkraftwerke? Dass das Ding mit einer gewaltigen Menge radioaktivem Müll in Berührung gekommen war, war noch die plausibelste Erklärung die ihm einfiel. Wobei sich Menschen auch dann eigentlich nicht in mordende Zombies verwandelten, außer vielleicht in Schundromanen. Egal, sie mussten hier einfach lebend heraus kommen. Philipp dachte an ihre Smartphones. Seines lag im Wohnzimmer, das war zu riskant, aber Janas befand sich im Bad, nur wenige Schritte von der Treppe entfernt. Es wäre eine Sache von wenigen Sekunden, sich das Handy zu schnappen und wieder die Treppe hinauf zu eilen. Allerdings konnten sich die Kreaturen in der Küche aufhalten, im Flur vor der Eingangstür, im Bad oder im Wohnzimmer. Egal wo sie waren, für einen Moment wäre er angreifbar und sie konnten sich auf ihn stürzen. Aber war eigentlich noch jemand im Haus? Vielleicht waren sie auch einfach verschwunden, auf der Suche nach leichterer Beute. Immerhin hatte er eine geraume Weile keinerlei Geräusche mehr von unten gehört, außer dem Affen in der Uhr.
„Nein, schlag mich nicht“, hörte er jetzt leise aus dem Schlafzimmer, gefolgt von einem unruhigen hin und her wälzen.
„Bitte...lass mich in Ruhe.“
Offenbar war Jana doch eingeschlafen. Dass sie manchmal im Schlaf redete und von Albträumen geplagt wurde, war nichts neues für Philipp. Er traf eine Entscheidung. Er würde sich hinunter schleichen, sich das Handy schnappen und wieder nach oben sprinten. Dann könnten sie die Polizei rufen und kämen hier raus. Die Kettensäge wäre ihm dabei allerdings keine Hilfe. Er legte sie neben die Tür auf den Boden. Wenn ihn jemand angriff, hätte er gar nicht die Zeit sie anzustellen und einzusetzen. Und vorher einschalten wollte er sie nicht, dann würde er die Kreaturen wahrscheinlich erst recht anlocken. Stattdessen fiel ihm etwas besseres ein. Leise ging er ins Schlafzimmer und sah Jana zusammengerollt wie ein Embryo im Bett liegen. Er zog den Reißverschluss eines Seitenfachs seiner Tasche auf und holte ein Taschenmesser hervor. Das musste als Waffe ausreichen. Darauf achtend, Jana nicht aufzuwecken ging er zur Tür, öffnete diese und lauschte nach unten. Vor der Treppe sah er eine Blutlache im Licht des Flurs. Hören konnte er allerdings nichts – es war völlig still. Vermutlich waren diese Höllenwesen also weg. Sicher sein konnte er da aber nicht. Er ignorierte seine Angst, atmete tief durch und nahm seinen ganzen Mut zusammen. Langsam – Schritt für Schritt und ganz behutsam – nahm er eine Treppenstufe nach der anderen auf dem Weg nach unten.
17
Jana sah, wie eine Handfläche erbarmungslos auf sie zu schnellte. Von einem immensen Schmerz begleitet wurde ihr Kopf zur Seite gerissen. Sie begann zu weinen und zu schreien, doch mit unbarmherziger Härte schoss die Hand erneut auf sie hinab. Die Schläge waren zwar fast schon etwas alltägliches, aber das machte es nicht leichter. Gründe wurden immer gefunden – ein angebliches Schmatzen am Frühstückstisch, eine Drei in der Schule oder nur ein falscher Blick im falschen Moment. Am schlimmsten waren die Misshandlungen mit dem Ledergürtel, der mit sadistischer Brutalität auf sie niedersauste, immer und immer wieder. Ein Seitenblick auf die Ausbeulung in der Hose ihres Stiefvaters verriet Jana, welchen Spaß ihm das machte. Ihre Mutter stand, mit einer Flasche Hochprozentigem in der Hand, untätig daneben und erklärte ihr lallend und mit glasigen Augen, was sie angeblich falsch gemacht hatte und warum ihr dies alles recht geschehe. Jana drückte die Plüschgiraffe namens Flocke an sich und dachte an ihren Dad. An ihren richtigen Vater – damals, als noch alles in Ordnung war und sie sich sicher und geliebt fühlte. Als ein erneuter Schlag auf sie niederknallte, schrie sie auf und schnellte hoch. Sie erwachte schweißüberströmt und wusste im ersten Moment gar nicht, wo sie sich befand. Geräusche drangen an ihr Ohr, ein Poltern und etwas, das klang wie ein Schrei. Schonungslos überwältigte sie nun die Erkenntnis ihrer Situation und sie wünschte sich fast wieder zu träumen, denn der Schrecken dort lag lange zurück und war zumindest rational irgendwie erklärbar.
Sie sprang aus dem Bett.
„Philipp?!“
Eine Welle des Entsetzens durchströmte sie als sie die offene Tür bemerkte.
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