Blutwelt
sie den Kopf und nickte der Tür entgegen.
Jetzt war uns einiges klar. Sie wollte, dass wir mit ihr gingen. Zu ihrer Schwester, wo wir möglicherweise auch unseren Freund Frantisek Marek fanden.
»Einverstanden?«, fragte Bill.
»Immer noch besser, als hier herumzuhängen.«
»Denkst du denn auch an eine Falle?«
Ich legte den Kopf zurück und lachte leise. »Worauf du dich verlassen kannst.«
»Aber frage doch mal nach deiner Freundin Justine. Kann ja sein, dass Gundula sie kennt.«
Bill hatte Recht. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Ich hielt Gundula fest, die schon zur Tür gehen wollte, und als sie mich ansah, sprach ich meine Frage aus.
»Kennen Sie Justine Cavallo?«
Erstaunt schaute sie mich an. Sie lächelte auch nicht mehr und zuckte mit den Schultern.
»Anscheinend nicht«, sagte Bill. »Aber darauf sollten wir uns nicht verlassen.«
Es war alles suspekt, es war alles nicht normal, aber ich gehöre zu den Menschen, die gern Klarheit haben, und deshalb blieb ich am Ball. »Sind Frantisek Marek und Ihre Schwester zusammen?«
»Ja, Schwester.«
»Hat keinen Sinn, John. Wir müssen tun, was sie verlangt, und im Hintergrund immer an die Cavallo denken.«
»Okay, du hast Recht.«
Beide hatten wir nichts dagegen, dass Gundula zur Tür ging und sie öffnete. Dabei setzte sie ihre Mütze wieder auf. Es war ein gestricktes Ding aus blauem Garn, dessen Vorderseite sie tief in ihre Stirn zog. Danach näherte sie sich mit entschlossenen Schritten ihrem Rad, löste den Ständer, stieg aber nicht auf den Sattel, sondern wartete darauf, dass wir zum Fiat gingen und einstiegen.
Erst als wir die Wagentüren zugeschlagen hatten und ich den Motor startete, da fuhr auch sie an.
Bill, der neben mir saß, atmete sehr laut ein und ebenso laut wieder aus. »Ich weiß nicht, wo das noch hinführen soll. Oder kommst du dir nicht ein bisschen verarscht vor?«
»Das ist mir egal, solange wir Marek finden können...«
***
Er lebte noch!
Frantisek sah es selbst als ein kleines Wunder an, dass man ihm nicht das Blut ausgesaugt hatte, denn im Laufe der Nacht war auch Dunja erwacht.
Sie hatte die Stunden über auf der Erde gelegen, und die Kälte hatte ihr nichts ausgemacht. Das wiederum bewies, dass sie zu einer echten Blutsaugerin geworden war, und als sie jetzt zuckte, da stand für Marek fest, dass der Blutdurst sie zum Erwachen gebracht hatte.
Er hatte in seiner verdammten Haltung nicht schlafen können. Er fühlte sich wie ein Wäschestück, das jemand zum Trocknen auf die Leine gehängt hatte. Nur war er ein Mensch mit Gefühlen und nicht irgendein alter Lappen.
Geschlafen hatte er nicht. Auch bei Dunkelheit konnte er kein Auge schließen. Er verglich sich nur mit einer Gestalt, bei der allmählich der Körper abstarb oder verging und nur noch der Kopf so zurückblieb, wie er mal gewesen war.
Marek konnte denken. Er fühlte. Er war eigentlich immer da, aber die Kälte kroch durch seinen Körper, und hinzu kam, dass seine Gelenke durch die Fesselung nicht mehr mit Blut versorgt wurden und allmählich abstarben.
Über ihm am Himmel hatte sich etwas verändert. Der Wind war stärker geworden und hatte Löcher in die Wolkendecke gerissen. Wenn er in sie hineinschaute, dann konnte er in den kleinen Inseln das Schimmern der fernen Sterne sehen, aber der volle Mond, der so gut zu einer Vampirnacht gepasst hätte, zeigte sich nicht. Manchmal sah er nur einen hellen Fleck am Himmel, der seine volle Rundung allerdings verloren hatte.
Es war ihm unmöglich gewesen, die Fesseln zu lösen, obwohl er es einige Male versucht hatte. Als Resultat waren aufgescheuerte Gelenke zurückgeblieben, deshalb hatte er diese Befreiungsversuche aufgegeben und sich im wahrsten Sinne des Wortes in sein Schicksal gehängt, wobei er sich eigene Vorwürfe nicht ersparen konnte, dass er so dumm in eine Falle gelaufen war.
Aber kein Mensch ist perfekt. Keiner kann einem anderen hinter die Stirn schauen, und so war es auch dem guten Marek ergangen.
Hoffnung!
Seine Gedanken drehten sich um dieses eine Wort, und er fragte sich, ob es für ihn überhaupt noch existierte. Nein, wenn man es genau betrachtete, dann gab es keine Hoffnung mehr für ihn. Das war alles vorbei. Hoffnung, sich aus eigener Kraft zu befreien, war nicht drin, aber er dachte auch an seinen Geburtstag und an die beiden Freunde, die aus London kamen, um ihn zu besuchen.
Konnte das eine Chance sein?
Im Prinzip immer. Nur tauchten sofort weitere Probleme auf, denn er
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