Blutwind
schnaufende Männer. Sie läuft in die Küche, füllt den großen Topf mit Wasser und macht Feuer im Herd. Dann läuft sie in die Praxis, findet die Schublade mit den zusammengefalteten Tüchern, greift nach einem ordentlichen Stapel. Ihre Mutter steht auf dem Treppenabsatz zwischen Erdgeschoss und erstem Stock und schaut hinunter, dann dreht sie sich um und geht wieder zu Bett.
Die Blutspuren führen zur Kellertür. Sie folgt ihnen, vorsichtig, um auf der steilen Treppe nicht zu fallen. Durch den ersten Keller bis zur geheimen Tür.
Jetzt ist etwas zu hören. Der Schein der Petroleumlampe flackert zwischen den Kisten. Ihr Vater beugt sich über einen Mann in Uniform. In der Dunkelheit kann sie kaum etwas erkennen, aber sein Gesicht ist blutverschmiert, und am Hals hat er fürchterliche Brandwunden. Der Arm hängt merkwürdig schlapp herunter.
»Es ist ein englischer Pilot. Er hat sich mehrere Rippen gebrochen. Vielleicht auch den Arm. Rede du mit ihm, Laura.«
Sie stellt sich neben ihren Vater, faltet die Hände und schluckt. Dann erinnert sie sich an ihr Schulmädchen-Englisch.
»Sir?«
Mit ihr als Dolmetscherin kann der Vater eine Diagnose stellen. Sie läuft hinauf, um das Wasser zu holen. Es kocht fast und schwappt ihr auf die Hände, als sie mit dem großen Topf die steile Treppe hinunterbalanciert. Gemeinsam gelingt es ihnen, ihm die Uniformjacke und das Hemd auszuziehen. Sie wäscht seine Wunden. Er ist hübsch, findet sie. Schwarze Haare. Graue Augen, volle Lippen. Er hat große Schmerzen. Aber er wird es schaffen, sagt Vater. Kein Wort zu Mutter. Sie schüttelt den Kopf. Sie weiß genau zu unterscheiden. Was Mutter wissen darf und was Mutter nicht wissen darf.
Sie holt Gaze und Morphium, Wasser zum Trinken. Fertigt aus dem Lauf eines Gewehrs eine Schiene für den Arm des Mannes, bindet sie fest. Er stöhnt, als sie mit dem Lauf gegen seine gebrochenen Rippen stößt. Dann läuft sie nach oben und wäscht das Blut vom Fußboden und von der Treppe. Vor der Tür geht sie den Weg im Garten ab, sucht in der Dunkelheit nach Spuren. Die wenigen Tropfen wischt sie weg. Es hat angefangen zu regnen. Der Regen wird auch die letzten Hinweise beseitigen. Die Maschine qualmt ein Stück entfernt im Gebüsch des Moors, draußen am See. Ein Auto hupt. Die Deutschen sind unterwegs.
»Du bleibst hier unten und passt auf ihn auf«, sagt Vater, als sie zurückkommt. Er wäscht sich die Hände in dem restlichen Wasser. All das Blut, das Vater an den Händen hat. »Ich gehe nach oben zu Mutter ins Bett. Wenn sie kommen, kümmere ich mich um die Deutschen.«
Sie nickt und rennt in die Dachkammer, um das Familie Journal zu holen. Jetzt kann sie es in dieser Nacht doch noch lesen. Sie lächelt, als sie zurück in den Keller kommt und Vater die Treppe hinaufgeht und die geheime Tür schließt.
Nach einer Weile wird oben geklopft. Heftige Schläge lassen das Haus seufzen. Aber sie ist vertieft in ihre Zeitschrift, sie reagiert nicht. Auch nicht auf die wütenden Stimmen, die oben zu hören sind.
Neben ihr messen die keuchenden Atemzüge des Piloten die Stunden bis zum Morgen wie ein Stundenglas ab.
Montag, 16. Juni
9
Am nächsten Vormittag in Lars’ Büro. Die gesamte Gruppe war zur täglichen Besprechung zusammengekommen. Ohne dass sie sich abgesprochen hätten, stand jeder am gleichen Platz wie am Vortag.
»Okay«, sagte Lars. »Lasst hören. Frank, Toke? Was ist mit den Taxifahrern?«
Frank runzelte die hellen Brauen, schüttelte den Kopf.
»Jemand muss doch etwas gesehen haben? Toke?«
»Leider nein.«
Depressive Stimmung breitete sich im Büro aus. Lisa räusperte sich.
»Wir waren in dem italienischen Restaurant und haben mit dem Kellner gesprochen, der die Mädchen bedient hat. Er sagt, sie hätten gute Laune gehabt und sich im Laufe des Abends ziemlich betrunken. Im Penthouse hat das Barpersonal gerade aufgeräumt und nachgefüllt, als wir kamen. Keiner hat irgendetwas bemerkt.«
Lisa lächelte, sie hatte noch etwas in der Hinterhand.
»Aber dann hatte eines der Mädchen im Penthouse eine gute Idee. Die Jugendlichen stellen offenbar gern Fotos von sich und ihren Freunden ins Netz, wenn sie in die Stadt gehen – oft auch auf die Homepages der Diskotheken und Bars. Und es ist wirklich nicht grade wenig, was die jungen Mädchen da so zeigen, das kann ich euch sagen.«
Kim A . richtete sich auf.
»Das ist vielleicht auch eine Idee. Sich mal mit ihrer sexuellen Geschichte zu befassen?«
Toke steckte die
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