Blutwind
Haaren breitete sich im Raum aus.
»Dänische Polizei«, sagte er, erhob sich und stapfte zur Tür. »Einen Scheiß versteht ihr.«
Sanne saß in ihrem eigenen besenschrankgroßen, fensterlosen Büro mit den braunen Wänden. Es roch nach Linoleum und altem Papier. Sie hielt einen schmutzigen Briefumschlag in den Händen. Die Briefmarke war am 22. 4. in Bratislava, Slowakei, abgestempelt worden. Den Umschlag hatte man an der Seite mit einem Messer oder einem anderen scharfen Gegenstand geöffnet.
Sie legte den Umschlag beiseite. Ging die wenigen, bescheidenen Gegenstände durch, die Mira hinterlassen hatte: eine gefälschte Dolce-&-Gabbana-Tasche, billige Unterwäsche der eher aufreizenden Art, ein paar enge H & M -Jeans und zwei sehr kurze Röcke, drei Tops, eine Bluse und eine Daunenweste. Ein paar Bücher in irgendeiner osteuropäischen Sprache. Den Umschlägen nach zu urteilen, offenbar Arztromane. Sie öffnete die Tasche: ein bisschen Make-up, keine Markenware, wahrscheinlich in einem Ramschladen in einer der Seitenstraßen von Vesterbro gekauft. Ein paar zerknüllte Geldscheine. Einer rollte sich immer wieder zusammen, wenn sie ihn glättete. Vermutlich würden die Techniker Reste von Kokain darauf finden. Ein Lippenstift, Kondome. Außerdem ein kleines zusammengefaltetes Briefchen mit einem weißen Pulver. Sanne steckte den Finger hinein, probierte. Der Geschmack war metallisch. Speed oder Kokain. Die Tasche enthielt keine Telefonnummern oder Papiere, und die wenigen Besitztümer sagten nichts über Mira als Person aus.
Abgesehen von dem zusammengefalteten Blatt, das in dem Briefumschlag steckte.
Sanne zog den Brief aus dem Umschlag. Die Wörter waren das reinste Kauderwelsch. Unterzeichnet hatte eine Zoe, auf dem Umschlag stand Miras vollständiger Name: Mira Vanin, PO Box 2840 Copenhaigen, Denimark. Zumindest konnte sie über Interpol eine Anfrage an die slowakische Polizei richten.
Zehn Minuten später rief sie Ulrik an. Sie brauchte die Genehmigung für einen Übersetzer.
»Sanne«, sagte er in herablassendem, hochnäsigem Ton. »Ich garantiere dir, dass ihre Person unwichtig ist. Sie war eine Prostituierte und wurde von einem Kunden oder ihren Zuhältern umgebracht. Wir konzentrieren uns auf ihren Umgangskreis hier in Kopenhagen.« Sanne kochte. Der herablassende, gängelnde Mann und die emotionale, sentimentale Frau? Nicht mit ihr. »Auf der anderen Seite«, fuhr er fort, »beschimpfen uns die Emanzipationsbewegung, die Hilfsorganisationen und die Presse, dass wir nicht genug für die Frauen tun, wenn es um Mädchenhandel geht. Vielleicht wäre es klug, wenn wir mehr über sie wüssten. Dann ist diese Flanke gedeckt, wenn sie sich beschweren. Allerdings solltest du dir darüber im Klaren sein, dass uns dieser Brief dem Mörder nicht näher bringt.«
Sanne hatte bekommen, worum sie gebeten hatte. Aber sie brauchte Luft.
13
Bei dem Gebäude Skyttegade 16 handelte es sich um ein Eckhaus, das Anfang des vorigen Jahrhunderts aus grauem Backstein gebaut worden war. Das gesamte Erdgeschoss war rostrot gestrichen, die Haustüren waren mit Graffiti besprüht. Allerdings standen vor dem Gebäude in regelmäßigen Abständen Pflanzen und weiße Stockrosen. Und die zweiflügeligen Fenster sahen gepflegt aus.
»Sieht nach Genossenschaftswohnungen aus.« Toke legte den Kopf in den Nacken, um zum Dachgeschoss hinaufzublicken. Lars folgte seinem Blick. Fünfter Stock. Natürlich wohnte er ganz oben unter dem Dach.
Lisa war es endlich gelungen, den Bekannten des Türstehers ausfindig zu machen. Allerdings konnte er sich nicht erinnern, wie der Bursche hieß, der Stine Bang in der Disko belästigt hatte. Aber er meinte, dass er in einem Musikgeschäft in der Innenstadt arbeite. Nachdem Lisa sich vergeblich bei TP und Fona erkundigt hatte, kam sie auf die Idee, dass es sich ja auch um einen Laden handeln könnte, der Musikinstrumente verkaufte. Schließlich hatte sie bei 4sound an der Ecke Åbenrå und Landemærket Glück. Der Mann hieß Mikkel Rasmussen und war seit zwei Tagen nicht zur Arbeit erschienen. Er wohnte in der Skyttegade 16.
An der Gegensprechanlage meldete sich niemand.
Lars klingelte bei den Nachbarn.
»Polizei«, sagte er, als endlich jemand antwortete.
»Was wollt ihr?« Die Stimme war belegt, es klang, als wäre Mikkels Nachbar gerade geweckt worden.
»Wir müssen zu Ihrem Nachbarn, Mikkel Rasmussen …«
»Dann klingeln Sie doch da.«
Lars atmete tief durch. Zumindest wurde nicht
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