Blutwind
aufgelegt.
»Wären Sie so freundlich, uns reinzulassen?«
Es wurde aufgelegt. Zehn Sekunden vergingen, bevor die Schließvorrichtung brummte und Lars die Tür aufschieben konnte. Inzwischen konnte man in Nørrebro kaum noch damit rechnen, dass der Polizei geholfen wurde. So war es seit vielen Jahren. Und er wusste auch, warum.
»Ich will Ihre Ausweise sehen.« Mikkel Rasmussens Nachbar hielt die Tür einen Spalt auf, als Lars, Toke und zwei uniformierte Beamte außer Atem die schmale Treppe hinaufkamen. Der Nachbar war jung und schmächtig und hatte halblanges dunkles Haar. Die Augenlider hingen ihm auf den grauweißen Wangen, er sah müde aus. Lars zeigte seine Polizeimarke.
»Danke und Entschuldigung.« Der Bursche nickte. »Hier laufen so viele merkwürdige Typen rum.«
Lars steckte die Marke wieder in die Tasche.
»Verständlich. Wir würden gern mit Ihrem Nachbarn reden. Wissen Sie, wo er ist?«
»Was hat er verbrochen?« Der junge Mann an der Tür sah überrascht aus.
»Wir würden einfach nur gern mit ihm reden.« Lars lächelte … freundlich, hoffte er. »Sie wissen also nicht, wo er steckt?«
Mikkels Nachbar schüttelte den Kopf.
»Wir brauchen noch zwei Zeugen«, fuhr Lars fort, »weil wir eine Hausdurchsuchung durchführen müssen. Haben Sie Zeit?«
»Na ja, eigentlich lerne ich fürs Examen. Aber was soll’s, eine Übersprungshandlung mehr oder weniger. Ihr braucht zwei, oder?«
Lars nickte. Der Bursche verschwand in der Wohnung, lehnte die Tür aber nur an. Aus der Wohnung drang Gemurmel. Ein Student zur Examenszeit. Er sollte mit seinen vorschnellen Urteilen vorsichtiger sein.
Mikkels Nachbar kam zurück mit einer jungen Frau in einem schwarzen Trägerkleid, das sie über einer abgeschnittenen Jeans trug. Sie starrte die Polizisten mit einem Blick an, der vor Misstrauen triefte. Ein Ring in der Nase, ein Arm von oben bis unten tätowiert. Schwarzes, strubbeliges Haar. Solange sie als Zeugin auftrat und unterschrieb, mochte sie denken, was sie wollte.
Der größere der uniformierten Beamten setzte direkt über dem Schloss einen Kuhfuß zwischen Mikkel Rasmussens Tür und den Türrahmen und brach die Tür auf. Ein strenger Geruch nach stockfleckiger Kleidung, Schweiß und verdorbenen Lebensmittelresten schlug ihnen entgegen.
Viel Platz gab es in der kleinen Wohnung nicht. Im Flur stapelten sich Reklamewurfsendungen. Mitten auf dem Boden, auf einem Netto-Prospekt, stand eine halbvolle Schale Joghurt. Eine Unterhose hatte sich in die graue, zähe Flüssigkeit verirrt. Schräge Wände, Erker, in sämtlichen Ecken Haufen ungewaschener Wäsche. Auf dem Boden des ersten Zimmers eine Matratze mit dreckigem Bettzeug. Neben der Matratze lag eine längliche Spanplatte auf zwei Plastikbierkästen. Zwei Aschenbecher, gefüllt mit Kippen und Blättchen, eine gut eine Woche alte Zeitung, Kaffeetassen und ein paar Bierflaschen kämpften um den Platz auf dem improvisierten Tisch.
»Mikkel hat sicher nichts dagegen, wenn ich rauche?« Lars sah den Nachbarn und seine Freundin fragend an und zündete sich eine King’s an. Er schickte Toke und die beiden Beamten in den zweiten Raum, die Küche und die Toilette und wandte sich wieder an den Nachbarn.
»Waren Sie gestern Nacht zu Hause?«
Der Nachbar sah seine Freundin an, nickte.
»Ich habe gelernt.«
Lars klopfte die Asche ab. Die grauen Flocken fielen durch das staubige Licht in den Aschenbecher.
»Was studieren Sie?«
»Philosophie.« Er sah richtig glücklich aus.
»Ist normalerweise doch ziemlich trocken?«
»Na ja, es gibt schon ein paar, die ziemlich verrückt sind. Manchmal ist es echt lustig.«
»Wirklich?« Lars hob die Augenbrauen. Dann fragte er: »Wie gut kennen Sie Mikkel?«
»Wir grüßen uns.« Er zuckte die Achseln. »Nicht richtig.«
»Gestern Nacht, nach drei. Haben Sie gehört, ob Mikkel da nach Hause gekommen ist?«
Der Nachbar dachte nach. »Da muss ich Merleau-Ponty gelesen haben. Ich fürchte, ich war völlig vertieft.« Er sah ärgerlich aus. Lars wandte sich an die Freundin, schickte ihr einen fragenden Blick. Sie schüttelte den Kopf, zeigte auf ihre Ohren. Erst jetzt sah er die weißen Ohrhörer und das Kabel, das in die Tasche ihrer abgeschnittenen Jeans führte.
»Sie hört ständig Musik«, erklärte der Nachbar. »Auch gestern. Sie hat nichts mitbekommen.«
»Kommt mal her!« Es war Toke. In der Küche hielt Toke ein anthrazitgraues Baumwollhemd zwischen zwei Fingern.
»Hallihallo. Sieht das nicht aus wie
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