Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutwind

Blutwind

Titel: Blutwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Melander
Vom Netzwerk:
Lars am Vorabend erzählt. Aber irgendetwas hielt sie zurück. Es war sicherlich keine gute Idee, ihn jetzt zu erwähnen.
    »… soweit ich herausgefunden habe, ist Glutaraldehyd über den normalen Handel nicht zu beschaffen. Aber Krankenhäuser und Zahnärzte kaufen es en gros. Und Bauern benutzen es zur Reinigung ihrer Ställe. Außerdem hat die Technische Abteilung die Reste eines Glasauges zusammengesetzt. Wir bekommen es morgen.«
    »Ach ja?« Ulrik kniff die Augen zusammen und platzierte die Fingerspitzen rechts und links neben seine Schreibunterlage.
    »Leider ist es nicht registriert.«
    Wieder wedelte Ulrik mit der Hand. Die Apathie der letzten Minuten war verschwunden. Seine hagere Gestalt strahlte plötzlich Vitalität und Energie aus. Selbst seine graue Haut begann zu glühen.
    »Hör mal: Die beiden Brüder liefern das Mädchen an einen Kunden mit ganz besonderen Wünschen: Mädchen mit Glasaugen.«
    Sanne war verblüfft.
    »Klingt wie eine schlechte Folge von CSI .«
    »Du bist überrascht …« Ulrik sah aus dem Fenster.
    »Und was ist mit …?«
    »Zuallererst müssen wir dieses Auge überprüfen. Das ist bisher unsere beste Spur.«
    Sanne stand auf. Sie musste Allan erreichen.
    »Und was die Bukoshi-Brüder angeht«, fügte Ulrik hinzu, »besorge ich eine richterliche Anordnung, damit wir sie abhören können. Außerdem müssen wir den Club überwachen. Es ist Urlaubszeit, du und Allan müsst also einen Teil der Wachen übernehmen.«
    Sanne nickte, ohne zu antworten. Manchmal bereute sie es, Kolding verlassen zu haben.

19
    Maria saß in der kathedralenähnlichen Aula neben einer Kopie von Thorvaldsens »Jason mit dem goldenen Vlies«. Sie war nervös und biss sich auf die Nägel, obwohl das hier nicht gern gesehen war. Ein Paar hohe Absätze an einem Paar lächerlich langer Beine klickte hektisch über die Marmorfliesen. Ein aggressives Echo folgte ihnen quer durch die Aula. Ein paar Mädchen aus ihrer Klasse saßen am Nachbartisch und glotzten auf ein iPad. In gut einer Dreiviertelstunde war sie an der Reihe. Mündliches Probeexamen in Dänisch. Herrje. Mutter hatte gesagt, es ist doch nur eine Probe. Aber was wusste sie schon? Hier bedeutete jede Prüfung alles. Und ihr Vater? Ahnte er überhaupt, dass sie auch heute antreten musste? Am Telefon hatte er es nicht erwähnt.
    Sie dachte an die Taxifahrt gestern Abend. Warum musste er sich so schwachsinnig aufführen? Unterm Strich war es nur so ein halbwegs leidlicher Abend gewesen. Und wieso konnte er nicht einmal vernünftig antworten, wenn sie etwas Wichtiges wissen wollte?
    Sie versuchte sich auf die Kopie zu konzentrieren, die vor ihr lag. Søren Ulrik Thomsens Der Trunkenen Weg . Eigentlich nicht überraschend, dass ihr Lehrer dieses Gedicht ausgewählt hatte. Eine derart ausgeprägte Säufernase wie bei ihm hatte sie lange nicht gesehen.
    Glücklicherweise hatten ihre Eltern kein Alkoholproblem. Das heißt, Ulrik hatte hin und wieder ein paar Striche mehr auf dem Deckel, als ihm oder anderen guttat. Aber er war ja auch nicht ihr Vater. Gott sei Dank.
    In gewisser Weise verstand sie gut, dass Lars alldem entflohen war. Wenn es nur nicht so wehgetan hätte. Wenn sie bloß hätte mitkommen können. Aber die Schule und die Ausbildung, sie musste an die Zukunft denken, bla, bla, bla. Sie hätte kotzen können. Zwei Monate allein mit Vater, ohne schwachsinnige Lehrer, eine oberhysterische Mutter und Erwartungen. Es wäre fantastisch gewesen.
    Ein paar Tische weiter schrammte ein Stuhl über den Boden. Einige Oberstufenschüler setzten sich. Christian. Der mit dem tollen Arsch und seine Freunde. Sandfarbenes Haar und ein Glitzern in den Augen. Nahezu alle Mädchen in ihrer Klasse, ja auf der ganzen Schule, wären bereit gewesen, die Beine breit zu machen, wenn er sie nur ansehen würde. Aber okay, er sah auch wirklich ziemlich gut aus.
    Sie schielte über die Kopie zu seinem Tisch. Guckte er rüber? Nein, das war sicher nur Einbildung. Konzentrier dich auf das Scheißgedicht.
    der äther des schlafs sickert
    durch die halb geöffneten münder
    wickelt sich schwer um den tanz des körpers
    Was bedeutete das? Es klang unbehaglich, ein bisschen gruselig. Und dann der Schluss. Der trunkenen weg in einen schlaf ohne träume . Sie schauderte, musste aufstehen, sich ein wenig die Beine vertreten. Möglicherweise ließ es sich ja noch anders interpretieren?
    Wieder warf sie den Oberstufenschülern einen Blick zu. Nein. Halt. Stopp.
    »Meine Güte, Maria.

Weitere Kostenlose Bücher