Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutwind

Blutwind

Titel: Blutwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Melander
Vom Netzwerk:
Eltern kennt. Hier wurde mehrere Jahre nichts getan, alles wuchert wild. Mittendrin ein großes rotes Backsteinhaus mit schwarzem Fachwerk. Von der Straße aus ist es nicht zu sehen, es steht weit weg von den anderen Häusern. Einsam und verlassen?
    Nein, er weiß es besser.
    Er setzt sich bequemer hin, zieht die Zigarettenschachtel, die er vorhin gestohlen hat, aus der Tasche. Von unten durch die Ritze des Gartentischs hat er sie gefingert. Die Zigaretten gehören der Nachbarin, der mit den langen Titten, die Vater letzten Sommer im Wintergarten gevögelt hat. Er hat sie beobachtet. Sie hat gequiekt wie ein abgestochenes Schwein. Vater musste ihr den Mund zuhalten. Fest und lange, bis sie aufhörte zu zittern.
    Er holt ein Feuerzeug heraus. Eine Hand vor die Flamme, damit sie vom Haus nicht gesehen werden kann; die Zigarette und die Glut verbirgt er in der hohlen Hand. Nun heißt es warten.
    Das Nikotin sickert ins Blut, verbreitet einen brechreizerregenden Schwindel. Er lehnt sich zurück. Ein Ast schneidet ihm in die Haut. Blut tropft aus einer Wunde am Arm, schwere schwarze Tropfen auf der weißen Haut. Er streift sie mit dem Zeigefinger ab, steckt den Finger in den Mund. Sein eigener warmer, salziger Geschmack.
    Um ihn herum lebt es, nachtaktive Insekten krabbeln im Schutz der Dunkelheit im Unterholz, die schwarzen Schatten der Vögel am Himmel. Er inhaliert noch einmal und lässt den Kopf davonsegeln.
    Ein Lichtstreif an der Kellertreppe. Jetzt ist es so weit. Er hält den Atem an. Dann verschwindet das Licht ebenso plötzlich, wie es gekommen ist. Er lehnt sich zurück, ärgerlich.
    Er zählt bis zehn, will noch einmal an der Zigarette ziehen, als er hört, wie etwas durchs hohe Gras gezogen wird. Reagiert er auf ein Geräusch oder einen Lichtfunken? Mit einem Mal sitzt er aufrecht, sämtliche Sinne in Alarmbereitschaft. Er starrt geradeaus, folgt den Linien zwischen Licht und Schatten.
    Eine Gestalt schält sich aus den Schatten, zieht etwas hinter sich her. Er sieht das Weiße in den Augen, wagt nicht zu atmen. Unmittelbar vor seinem Versteck unter einem alten Fliederbusch bleibt die Gestalt stehen und fasst sich an die Hüfte. Etwas Schweres fällt auf die Erde, die Gestalt bückt sich und greift nach einem Spaten, der unter dem Baum auf der Erde gelegen hat. Als der Spaten aufgehoben wird, streift der Griff eine Ecke des zusammengerollten Teppichs, schlägt ihn zur Seite. Ein verschwommenes weißes Gesicht. Leere, dunkle Augenhöhlen starren ihn unvermittelt an.
    Er zuckt zusammen. Die Gestalt hebt den Spaten. Die Zigarette hängt noch immer in der Hand vor seinen Lippen, deutlich zu sehen. Mit einer lautlosen Bewegung dreht er sie um, verbirgt die Glut in der Hand. Die Gestalt bewegt sich. Eine kaum erkennbare Drehung ihres Körpers, und der Spatenhieb ändert seine Richtung, fährt über die Erde, ins Gebüsch, auf sein Gesicht zu.
    Lautlos kriecht er zurück, fort. Das Blatt des Spatens zischt Millimeter an seinem Gesicht vorbei. Er reißt sich den Rücken, den Hals und den Arm auf. Schiebt sich weiter zurück, hinein ins Gebüsch. Verlassen glüht die Zigarette auf der Erde. Erst als er den Zaun hinter sich spürt, dreht er sich um und zwängt sich durchs Loch, zurück auf den Weg, den er gekommen ist. Die Angst lässt sein Blut rasen, der Puls klopft mit hektisch pumpenden Rhythmuswechseln gegen die Augäpfel. Er hört nur das Geräusch von knackenden Zweigen und das Keuchen seines Verfolgers, der ihm dicht auf den Fersen ist.
    Ein verschwommenes weißes Gesicht, leere, dunkle Augenhöhlen.
    Raus aus dem Unterholz. Er springt auf, rennt zurück auf den Weg. Der Mond steht kalt und klar über ihm, alles scheint zu vibrieren. Von hinten kommen die Schritte.
    Er läuft auf die Flößerbrücke. Sie schwankt unter ihm, rutscht tiefer ins Wasser, als der andere sie erreicht. Ein Schwan blickt erschrocken auf, steigt geräuschvoll aus dem Wasser in die Luft. Er springt ins Schilf, kann den Verfolger nicht mehr hinter sich hören. Versucht, schneller zu laufen, doch das Schilf greift mit seinen zähen Halmen nach ihm. Der feuchte Boden saugt seine Schuhe an. Und jetzt hört er ihn durchs Schilf brechen. Keuchend, fluchend.
    Dann hat er es geschafft.
    Das Feuer ist keine fünfzig Meter weit entfernt, vierzig Meter sind es bis zum Lichtkreis und den Erwachsenen, die mit dem Rücken zu ihm um das Feuer stehen und singen. Vaters Gestalt ragt heraus. Seine rechte Hand liegt auf dem Hintern der Nachbarsfrau. Die

Weitere Kostenlose Bücher