Blutwind
andere ruht leicht auf Mutters Schulter. Irgendetwas in der Haltung der Nachbarin. Etwas Steifes, Unnatürliches. Es raschelt hinter ihm, als der Verfolger aus dem Schilfdickicht tritt. Er wirft den Spaten fort, er hat die Gruppe am Feuer gesehen.
Kurz vor dem Lichtkreis holt ihn die Gestalt ein. Packt ihn am Arm.
»Du.« Schmale, gelbliche Schlitze schweben Zentimeter vor seinem Gesicht. Eher ahnt er die Hand, als dass er sie sieht, die sich hinter dem verzerrten Gesicht hebt, das im Licht des Feuers glüht.
Plötzlich Geräusche hinter ihm.
»Christian?« Es ist sein Vater.
Die Augen werden noch schmaler, suchen die Reihe der Erwachsenen zwischen ihm und dem Feuer ab. Die Hand fällt schlaff herab, doch der Griff um seinen Arm wird fester.
Der Verfolger ringt nach Atem.
»Das nächste Mal sind es deine Eltern, wenn …«
Die Hand an seinem Arm drückt zu. Es tut so weh, dass er glaubt, ohnmächtig zu werden. Dann lässt ihn die Gestalt los, dreht sich um und verschwindet mit einem letzten bösen Blick im Schilf.
»Was war das denn?« Vater will hinterher und reckt den Hals, um den Bewegungen im Schilf zu folgen.
»Ach, gar nichts, Papa. Komm jetzt. Müssen wir nicht nach Hause?«
Mittwoch, 18. Juni
24
Lars war unglaublich müde. Eine große innere Leere zapfte in kleinen steten Tropfen sämtliche Energie aus Gehirn und Körper. Am liebsten hätte er sich in eine Ecke verkrochen, die Jacke unter den Kopf gelegt und geschlafen.
Drei Gläser Wein und ein Bier hatte er gestern getrunken. Zu viel, um Auto zu fahren, ja. Aber einen Kater? So alt war er auch wieder nicht, doch dieser Blick seiner Mutter hätte bei jedem einen Migräneanfall ausgelöst.
Die Stimmen um ihn herum verschmolzen, tief und verzerrt. Langgezogene Konsonanten, Bassvokale. Raubtiergebrüll in Slow Motion. Dann wurde der Ton aufgedreht. Es war Tokes Stimme. »Sind Frank und Kim A . unterwegs?«
Lisa balancierte ein Tablett aus der Kantine zur Tür herein, fünf Tassen und eine Thermoskanne Kaffee. Sie stellte das Tablett auf den Tisch und schenkte erst Toke und Lars ein, dann sich selbst. Lars nahm die Plastiktasse entgegen.
Lisa schaute auf die Uhr. Toke brummte, griff nach einem Kugelschreiber aus Lars’ Bleistifthalter und begann, ein Kreuzworträtsel zu lösen.
Weitere fünf Minuten vergingen, dann polterten sie ins Büro. Frank erzählte irgendeine Geschichte, Kim A . lachte dröhnend und schob seinen fleischigen Hintern auf den Schreibtisch – mit dem Rücken zu Lars. Lisa hatte Franks festen Platz auf der Fensterbank übernommen. Ihre Augen hingen an Franks Lippen.
»Und dann sagte der Kerl: ›Versucht die Nummer ja nicht mit mir‹, und setzte sich.« Frank schüttelte den Kopf. Kim A .s Schultern bebten. »Einfach unfassbar!«, japste er.
Lars räusperte sich. Toke blickte auf, abwartend. Kim A . und Frank taten, als hätten sie es nicht bemerkt. Lisas Blick streifte Lars, dann lachte sie weiter, aber leiser und eher für sich.
Lars räusperte sich erneut.
»Wenn ich jetzt …«
»Zwei Sekunden. Ich wollte noch …«, unterbrach ihn Frank. Dann sah er, wie Toke ihn anstarrte. Er schwieg.
Kim A . wandte sich an Lars.
»Wir mussten eben noch etwas zu Ende bringen.« Er grinste Frank durchtrieben an.
»Ja, das höre ich. Wenn ihr fertig seid, können wir vielleicht anfangen?«
»Ja sicher, selbstverständlich, Chef.« Frank nickte, lehnte sich an die Tür.
Lars betrachtete sie. Kim A . konnte er zur Not noch verstehen. Ihr Verhältnis war schon immer gespannt gewesen. Aber Frank? Lars wusste, dass seine Vergangenheit für die meisten Polizisten ein rotes Tuch war. Aber war es wirklich nur die Freundschaft mit Ulrik, die sie davon abgehalten hatte, sich auf ihn zu stürzen?
Er stellte die Tasse auf den Schreibtisch. Ein paar Monate. Dieser Fall, vielleicht noch ein oder zwei weitere – dann war er weg. Er räusperte sich erneut.
»Lisa, kannst du uns bei Mikkel Rasmussen auf den neuesten Stand bringen?«
Lisa richtete sich auf der Fensterbank auf und schilderte in knappen Sätzen das Verhör. Lars griff nach einer Fotografie von Mikkel Rasmussens Hemd.
»Toke?«
Toke warf Kugelschreiber und Zeitung auf den Tisch.
»Ich habe eine Probe an die Chemiker im Rechtsmedizinischen Institut geschickt. In ein paar Tagen sollten wir eine Antwort haben.«
»Hoffen wir, dass sie positiv ausfällt.« Lars erhob sich. »Wir müssen beweisen, dass Mikkel Rasmussen gleichzeitig mit Stine in der Nørregade oder am
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