Blutwurstblues. Ein Mick-Brisgau-Krimi: Der große Roman mit dem Team von Der letzte Bulle (German Edition)
Hinweistafel konnte Mick im Vorbeigehen irgendwas von »gezähmter Wildnis« lesen. Eine nette Formulierung dafür, dass der klammen Stadt wahrscheinlich nur das Geld für den Landschaftsgärtner fehlte. Doch angesichts des Fahrradweges, der Trampelpfade und des jungen Grüns der Birken musste Mick zugeben: »O.k., das ist ganz nett.« Auch wenn er Li-Zi nicht deswegen hierhergefahren hatte, aber das spielte schon keine Rolle mehr.
Ein paar buntbemalte Holzstämme mit groben Schnitzereien, die an einer Stelle den Weg säumten, hatten es Li-Zi besonders angetan. Was es damit auf sich hatte, wusste Mick nicht. Wahrscheinlich so was wie moderne Kunst. Da konnte man sich jeden Erklärungsversuch eh von vornherein sparen. Trotzdem machte sich Mick die Mühe, die dazugehörige Hinweistafel wenigstens zu überfliegen. Bei den Holzpflöcken handelte es sich um das Projekt einer Grundschule. Die I-Dötzchen hatten sich eine Geschichte ausgedacht, die dann von einem Künstler in Form der Schnitzereien dargestellt worden war.
Mick versicherte sich mit einem kurzen Blick, ob Li-Zi ihm nicht schon wieder stiften ging, doch sie hatte es sich inmitten der Holzpfeiler bequem gemacht. Mick hatte also Zeit, auch die Inhaltsangabe zu lesen. Sicher wieder so ein langweiliger Heile-Welt-Quatsch, der aber pädagogisch total sinnvoll sein sollte. Das Schnitzwerk war ja nicht grad so selbsterklärend wie der Kreuzgang in der Kirche.
Die Geschichte war denn auch einfach und reichlich albern. Ein ominöses kleines Männchen hatte zeit seines Lebens in einem Stollen unter Tage gelebt. Eines Tages aber überwand es seine Angst und traute sich doch einmal an die Oberfläche, um etwas Neues zu erleben. Sein Mut wurde belohnt. Einmal über Tage angekommen, erkannte das kleine Männchen, was für unermessliche Schätze auf ihn warteten, die ihm sonst entgangen wären. Da der ganze Quatsch natürlich pädagogisch wertvoll sein musste, waren die Schätze aber nicht Gold, Diamanten oder Kohle, sondern »Sonnenwärme«, »Freude«, »Freundschaft« und so weiter. Ja, ja. Tanze deinen Namen und male ein Lied dazu, dachte Mick und schüttelte den Kopf. Weniger allerdings über das Heile-Welt-Heititei als darüber, dass die ganze Geschichte vollkommen am Thema vorbeiging. Die »Schätze« lagen schließlich unter der Erde. Das traf auf kaum eine Region so zu wie aufs Ruhrgebiet. Sie wurden gehoben und brachten Wohlstand für eine gewisse Zeit. Als es dann aber, im Zuge der ersten Vorboten der Globalisierung, billiger wurde, Kohle vom anderen Ende der Welt zu importieren, ging alles den Bach runter. So sah’s nun mal aus.
Mick gesellte sich wieder zu Li-Zi. Da sie sich naturgemäß nur wenig zu sagen hatten, saßen sie eine Weile schweigend nebeneinander. Die Sonne des späten Nachmittags wärmte noch immer und war angenehm. Es war gut, dass er noch mal rausgefahren war, anstatt den Tag gleich bei Uschi zu beschließen. Mick musste unwillkürlich lächeln. Wenn man unterstellen wollte, dass die Kneipe im übertragenen Sinne so was wie sein Stollen war, hatte die Kindergeschichte sogar … Was für ein Schwachsinn. Was bitte wussten ein paar Abc-Schützen schon vom Leben?
Mick reichte Li-Zi seine Hand. »Na, komm. Wir gehen.« Li-Zi wäre vielleicht gern noch etwas länger geblieben, erhob sich aber. Mick wählte den Weg so, dass er sie auf jeden Fall zum Auto führen würde. Als der Parkplatz in Sichtweite kam und er schon über ihr nächstes Ziel nachdachte, blieb Li-Zi plötzlich stehen. Was war nun?
Li-Zi redete aufgeregt auf ihn ein. Natürlich verstand Mick nicht, was sie sagte. Was sie meinte, war aber auch so offenkundig. Mitten auf dem Gelände wuchs eine rot leuchtende, bestimmt 50 Meter lange und vielleicht 25 Meter hohe Rolltreppe aus dem Boden! Mick, der sich nur für den Parkplatz interessierte, hatte sie übersehen. Auch wenn das fast unmöglich war. Keine Frage. Das Ding hatte was, und was Li-Zi wollte, war auch klar: damit fahren. Mick war durchaus gewillt, sich darauf einzulassen, bis seine Augen die Rolltreppe hochwanderten. Was prangte da oben an dem Backsteingebäude, in das die Rolltreppe mündete? Eine große Aufschrift: Ruhr Museum.
Mick haderte mit seinem Schicksal. Wenn Li-Zi an einem dieser Souvenirstände hängengeblieben wäre, okay, damit hätte er leben können, auch wenn ihm diese Ruhrpott-Devotionalien ebenfalls zuwider waren. Aber bitte. Wer unbedingt eine Kaffeetasse mit der Aufschrift »Schwarzes Gold« oder
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