Blutwurstblues. Ein Mick-Brisgau-Krimi: Der große Roman mit dem Team von Der letzte Bulle (German Edition)
anschmiegsam und wollte ihn sogar heiraten, dabei war er in Wirklichkeit nicht mehr als ihr Aufpasser, der sie in wenigen Tagen oder Wochen ins Flugzeug Richtung Heimat setzen würde. Eine solche Behandlung, da war sich Mick mit einem Mal sicher, hatte Li-Zi nicht verdient. Er musste ihr die Wahrheit sagen.
»Komm mal mit.« Mick nahm Li-Zi bei der Hand, setzte sie neben sich auf die Couch und griff nach dem Wörterbuch. »Deutsch – Mandarin, Mandarin – Deutsch«. Wieso hatte sich der Strickpullover dann nicht mit Li-Zi unterhalten können? Von wegen Dialekt, die Frau war einfach unfähig.
Mick wischte den Gedanken beiseite und überlegte stattdessen, wie er die Sache angehen sollte. Wie erklärte er der Kleinen in einfachen Sätzen und dabei möglichst schonend, dass ohne eine Anstellung in der Botschaft nicht nur ihre Arbeitserlaubnis, sondern auch ihre Aufenthaltsgenehmigung erlosch und sie deshalb abgeschoben werden würde? Keine leichte Aufgabe. Mick versuchte es trotzdem und blätterte im Wörterbuch, während Li-Zi ihn erwartungsvoll ansah.
»Ni seä dai näng«, brachte Mick schließlich hervor und war froh, dass er keinen Knoten in der Zunge hatte. Wenn er richtiglag, würde die kleine Lotusblüte wahrscheinlich gleich in Tränen ausbrechen, schließlich hatte er zu sagen versucht: »Du hier nicht bleiben können.«
Das Gegenteil war jedoch der Fall, denn Li-Zi kuschelte sich an ihn. Und antwortete ihrerseits mit dem schon vertrauten »Jie Hun«. Mick verstand nicht, was das sollte, bis er die Worte noch einmal durchging. Verdammt! Er hatte ausgerechnet das »nicht« vergessen. Eilig blätterte er durch das Lexikon. »Ni seä schaou dai näng«, korrigierte er sich schließlich. Doch auch jetzt zeigte Li-Zi keine Reaktion. Oder besser gesagt nicht die, die Mick erwartet hatte. Zwar erhob sie sich von der Couch, setzte sich stattdessen aber aufs Bett und begann … sich auszuziehen.
»Nein, nein!« Micks Finger flogen über die Seiten des Wörterbuchs. »Bu singgan.« Diesmal verstand Li-Zi anscheinend, war dafür aber wenig erfreut. »Bu singgan?«, fragte sie und wirkte gekränkt. Mick blickte ins Wörterbuch und bemerkte seinen Fehler. Eigentlich hatte er nur »kein Sex« sagen wollen, war dabei aber in der Zeile verrutscht, und so wurde aus »kein Sex« plötzlich »nicht sexuell attraktiv«.
»Schu singgan, schu singgan!«, versicherte er Li-Zi nun eifrig, was umgehend dazu führte, dass sie sich wieder entkleiden wollte. Kein Wunder, hatte Mick ihr doch eben bescheinigt, ein ziemlich heißer Feger zu sein. Langsam dämmerte es ihm, dass er so auf Dauer wohl nicht weiterkam. Er warf das Wörterbuch beiseite und nahm Li-Zis Kopf zwischen seine großen Hände. Die Idee, ihr die Situation wirklich verständlich machen zu können, hatte er mittlerweile verworfen. Besser, er machte einfach das Beste draus. »Na komm. Wenn du schon um die halbe Welt geflogen bist, dann kriegst du jetzt wenigstens was zu sehen, bevor es wieder nach Hause geht.«
Mick war noch nicht mal ausgestiegen, da bereute er es schon, mit Li-Zi ausgerechnet hierher gefahren zu sein. Wieso Zollverein? Sein Gedächtnis hatte ihm wieder einen Streich gespielt. In seiner Erinnerung war »die schönste Zeche der Welt« noch immer das, was diesen Namen einmal verdient hatte. Eine Kohlenzeche, mit angeschlossener Kokerei. Ein Ort, wo tagtäglich Tausende ehrlicher Kumpel im Schweiße ihres Angesichts das Grubengold zutage gebracht und so für das Auskommen einer ganzen Region gesorgt hatten. So war es über Generationen gegangen, woraus sich im Laufe der Zeit ein Selbstverständnis aus Stolz und Stärke entwickelt hatte. Und die Backsteinkathedrale, über deren Dach die gewaltigen Stahlträger des Förderturms thronten, war stets das Symbol dieses Selbstverständnisses gewesen. Bis zum Jahr 1993, in dem die Kokerei, die letzte sich im Betrieb befindliche Einheit des Industriekomplexes, geschlossen worden war. Von da an hieß es: »Schicht im Schacht!« Vielleicht hätte man es damit gut sein lassen und das Gebäude dem Verfall preisgeben sollen. Dann wäre es wenigstens ein Mahnmal für den Aufstieg und Niedergang einer Region gewesen. Vor allem aber wäre es ehrlicher als das gewesen, was die Stadtplaner, Marketingfuzzis und Tourismusbeauftragten bis heute aus dem Areal gemacht hatten: eine Mischung aus Industriedenkmal, Kulturstätte und Disneylandverschnitt. In der alten Kompressorhalle gab’s jetzt »Erlebnisgastronomie«, und
Weitere Kostenlose Bücher