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Blutzeichen

Titel: Blutzeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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die Art, wie er sie anschaute und mit ihr sprach, als wäre er in ein Geheimnis eingeweiht, das ihr unzugänglich war, oder als wäre er mehr als nur ein oberflächlicher Begleiter.
    Charles, der seit fünf Minuten die Unterhaltung bestritt, erzählte von seinem Versuch, einen »schwierigen schwarzen Jungen« zu bekehren.
    Aber Violet hörte nicht zu, sondern starrte einfach auf den Berg gebratener Spaghetti auf ihrem Teller.
    »… und da habe ich ihm gesagt: ›Jesus ist für dich gestorben, mein kleiner Freund.‹« Charles’ Unterlippe zitterte mittlerweile und seine Stimme war sanft und emotional. »Und wisst ihr, was er mir geantwortet hat? Es bricht dir das Herz, Ebert. Er fragte: ›Und wie kommt es, dass Jesus mich liebt?‹ Und das hab ich ihm erzählt, ich sagte… hörst du mir noch zu, Violet?«
    Violet blickte in die kleinen, einsamen Augen auf der anderen Seite des Tisches.
    »Ja, ich höre dir zu, Charles.«
    »Ich sagte ihm: ›Gott liebt kleine schwarze Jungen genauso, wie er kleine weiße Jungen liebt.‹«
    Ein vierjähriger Junge mit schokoladeverschmiertem Mund kam angerannt und blieb vor Violet stehen.
    »Du bist schön«, sagte er, lief weg und rief dabei: »Ich hab’s getan, Jungs! Ich hab’s getan!«
    Die junge Frau lachte.
    »Wo ist Max, Violet?«, fragte Charles.
    »Dort, wo er auch letzte Woche war, als du mich gefragt hast«, erwiderte Violet, ohne ihre Stimme bitter klingen zu lassen. »Er trainiert dieses Jahr die Langstreckenläufer. Sie hatten heute wieder ein Treffen.«
    Ist das okay für dich, du blöder Spinner?
    »Möchte nur nicht mit ansehen, wie er abtrünnig wird. Erst lässt man die Mittwochabende ausfallen und dann?«
    »Mein Schwiegersohn ist kein Abtrünniger, Charles«, erwiderte Ebert. »Du weißt, dass ich das nicht billigen würde. – Stimmt doch, oder, Kind?«
    »Ja, Vater.«
    Violet lächelte ihren Vater an, einen großen, stämmigen Mann mit weißem Bart und Glatze. Seine glänzende rote Hautfarbe verdankte er der Arbeit auf seiner Milchfarm. An ihrem Tisch roch es ganz leicht nach Dung.
    Während Violet ihren Tee trank, spürte sie, dass Charles sie beobachtete. Sie erwischte ihn oft dabei, wie er sie anstarrte, vor allem während der sonntäglichen Gottesdienste. Er tadelte sie immer wieder wegen ihres »jungenhaften Haarschnitts«, denn seiner Meinung nach sollten Frauen langes, fließendes Haar haben, weshalb er Violet ständig ermunterte, ihre blonden Locken wieder wachsen zu lassen.
    An ihrer Hüfte summte ihr Piepser und sie blickte auf ihren lavendelfarbenen Rock hinab. Als sie die Nummer sah, stand sie auf.
    »Mutter, falls Max kommt, sag ihm, ich bin gleich wieder zurück.«
    »Alles in Ordnung, Violet?«
    Evelyn blickte zu Violet auf, ihre wolkenblauen Augen spiegelten das Grau ihrer Haare wider.
    Wie könnt ihr nur hier mit diesem Bekloppten sitzen? »Ja, Ma’am.«
    Violet verließ den Versammlungsraum und ging auf den Flur, der zu den Klassenzimmern führte. Am Ende des Flurs standen die Flügeltüren offen, sodass sie in den neuen Kirchenraum blicken konnte, in dem der Chorleiter hektisch Stühle auf der Empore verteilte, um die Chorprobe vorzubereiten, die unmittelbar auf das Gemeindeessen folgen würde. Ihr war heute Abend nicht nach Singen zumute. Sie wollte nach Hause gehen, mit einem Glas Cherry Garcia ins Bett kriechen und fernsehen, am liebsten eine Ken-Burns-Dokumentation auf PBS.
    Der Krach aus dem Versammlungssaal war nur noch als leises Flüstern zu hören, als Violet einen dunklen Klassenraum betreten und die Tür hinter sich geschlossen hatte.
    Wieder vibrierte der Piepser.
    Sie kramte in ihrer Tasche nach dem Handy.

21. Kapitel
     
    Violet wendete in der Sackgasse und parkte ihren Jeep Cherokee auf dem Bordstein. Die Uhr am Armaturenbrett zeigte 7:15 Uhr an. Der Himmel war noch nachtschwarz bis auf ein paar verschwommene stecknadelgroße Sterne, die verschwammen, wenn man sie direkt anschaute. Sie schaltete den Motor aus, starrte aus der Entfernung auf das Chaos und dachte sich das blendende Licht der aufblitzenden Sirenen weg, um sich diese hysterische Straße so vorzustellen, wie sie in jener Nacht gewesen sein musste.
    Ruhig.
    Gewöhnlich.
    Sicher.
    Sie sog die Umgebung in sich auf – den jungen Pinienwald auf der einen Straßenseite, die Häuser direkt am See auf der anderen Seite, beide Enden des Shortleaf Drive, die Straße, die hier mündete, die Anzahl der Häuser zwischen den beiden Straßenenden (elf) und den ruhigen,

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