Boardwalk Empire
nächsten zwanzig Jahren wanderte Nucky über den Boardwalk und begleitete Schulkinder nach Hause. Er nahm an Benefizveranstaltungen teil und gelegentlich auch an Spendengalas. Seine Freunde veranstalteten ihm zu Ehren gigantische Geburtstagsfeiern, und die meisten Politiker der Stadt holten immer noch seinen Rat ein. Bei schwierigen Wahlen half er den Republikanern nach wie vor, aber nie wieder hatte er so viel Macht wie zu seiner Zeit als »Zar vom Ritz«.
Mit den Jahren verschlechterte sich Nuckys Gesundheitszustand. Er wurde in einem Altenheim in Northfield untergebracht, wo er seine letzten Tage damit verbrachte, Hof zu halten und mit seinen alten Freunden schottischen Whisky zu trinken. Am 9. Dezember 1968 verstarb Nucky Johnson still im Alter von 85 Jahren, angeblich mit einem Lächeln auf den Lippen. Keiner verkörperte so wie er die Habgier und die Korruption von Atlantic City, aber auch die besten Jahre der Stadt.
63 Interview mit Richard Jackson.
64 Ebenda.
65 Zitat und die folgenden Informationen sind dem Ermittlungsbericht von W . E. Frank entnommen.
66 Aus einem Interview mit Richard Jackson.
67 Aus dem Ermittlungsbericht vom William E. Frank.
68 Das Zitat von Walter Winne ist dem FBI-Ermittlungsbericht von W . E. Frank entnommen.
69 Aus einem Interview mit Mary Ill.
7
Hap übernimmt das Zepter
Frank Farley wartete ungeduldig darauf, dass der Aufzug anhielt. Sobald sich die Türen öffneten, glitt er blitzartig hinaus und rauschte durch den Flur zu seinem Büro. Im Empfangsbereich standen vierzehn Stühle, und auf jedem saß ein Besucher mit einem speziellen Anliegen. Farley begrüßte seine »Patienten« und fragte seine Sekretärin, wer der Erste war. Dann bat er einen nach dem anderen in sein Büro, damit sie dem Senator ihre Probleme schildern konnten.
Die Bürger von Atlantic City erwarteten von ihren Regierenden seit jeher besondere Vergünstigungen, die über das Übliche hinausgingen, und wie schon seine Vorgänger konnte Frank Farley sich wie ein Feudalherr gebärden. Man bat ihn um Geld, einen Job, eine Lizenz und öffentliche Aufträge, oder um Rat bei juristischen oder sogar persönlichen Angelegenheiten. Farley schickte niemanden ohne eine Perspektive nach Hause. Manchmal tätigte er im Beisein des Bittstellers einen Anruf oder diktierte seiner Sekretärin Dorothy Perry einen entsprechenden Brief. Selbst wenn er keine Lösung fand, verwies er seinen Besucher an eine andere Dienststelle, die dann die schlechten Nachrichten überbrachte. Somit verließ jeder Bittsteller Farleys Büro voller Dankbarkeit. Er war der neue Boss von Atlantic City.
Die Übertragung von Nucky Johnsons Macht auf Frank Farley ist bezeichnend für Nuckys Organisation. Die Art von totalitärer Kontrolle, die Nucky ausgeübt hatte, konnte ein anderer nicht einfach übernehmen. Die zahlreichen Rädchen in der Maschine wollten mitreden, und selbst mit Gewalt hätte sich niemand Nuckys Position sichern können, dafür gab es zu viel Konkurrenz.
Die von Nucky hinterlassenen Machtverhältnisse waren komplexer als die von Louis Kuehnle. Zwar hatte auch der Kommodore mit Kriminellen zusammengearbeitet und Schutzgelder von ihnen erhalten, aber Politik und Verbrechen waren noch getrennte Machtbereiche gewesen. Unter Nucky arbeitete das Verbrechersyndikat unmittelbar mit dem Vorstand der Republikanischen Partei zusammen. Beide Sphären verschmolzen miteinander, und Nucky war ihr Vorsitzender. Sein Nachfolger musste von beiden Lagern akzeptiert werden.
Im Jahr 1940 , als die Ermittlungen des FBI bereits etliche Jahre andauerten, ahnte man in Nuckys Kreisen, dass er irgendwann im Gefängnis landen würde. William Frank und seine Leute würden die Stadt nicht eher verlassen, bevor sie ihn festgenommen hatten. Noch während Nuckys Verhandlung begann das Ringen um seine Nachfolge. Die beiden Hauptkonkurrenten waren Frank Farley und Bürgermeister Thomas D. Taggart Jr.
Tommy Taggart wurde 1903 in Philadelphia geboren, und im Alter von sechs Jahren zog seine Familie wie viele andere nach Atlantic City. Thomas Taggart Senior war über 25 Jahre lang leitender Chirurg im dortigen Krankenhaus und ein hoch angesehenes Mitglied der Gemeinde. Seine Frau stammte aus traditionsreichen und wohlhabenden Verhältnissen, angeblich waren ihre Vorfahren auf der Mayflower ins Land gekommen. Wenn es in Atlantic City damals so etwas wie eine Oberschicht gab, gehörten die Taggarts definitiv dazu.
Tommy Taggart besuchte die Atlantic City
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