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Boardwalk Empire

Boardwalk Empire

Titel: Boardwalk Empire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Johnson
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Stadt überleben konnten. Eine abgesagte Tagung oder ein paar verregnete Wochenenden im Sommer konnten ein Geschäft in den Ruin treiben. Ein Restaurant, eine Pension oder ein Geschäft an der Promenade oder in Strandnähe zu besitzen, war keine Garantie mehr für ein gesichertes Einkommen.
    Atlantic City war ein Opfer der Modernisierung geworden. Die amerikanische Gesellschaft veränderte sich allmählich, und das hatte verheerende Folgen für die Stadt. Die Erfindung von Klimaanlagen und Swimmingpools ermöglichte es den Leuten, sich zu Hause zu erholen, statt an die Küste zu fahren. Außerdem wurden die Urlaubsorte im Süden des Landes konkurrenzfähig, denn nun waren auch Flugreisen erschwinglich. Viele sparten ihr Geld für einen Urlaub an einem entfernten Ort, statt es für Wochenendausflüge nach Atlantic City auszugeben. Und dann gab es da noch das Automobil.
    Das Familienauto war eine fatale Erfindung für die Stadt. Atlantic City war ein Produkt der Eisenbahn. Über drei Generationen war kein Urlaubsort so problemlos per Zug erreichbar gewesen. Die Eisenbahngesellschaften hatten die Staaten von einer Küste bis zur anderen miteinander verbunden, sie hatten eine ganze Nation vereint und dabei ein gesellschaftliches Ideal verankert: das der Mobilität. Die Regierungen und die Eisenbahngesellschaften hatten den Bürgern den Drang zur Fortbewegung eingepflanzt. Dank der mittlerweile erschwinglichen Kraftfahrzeuge mussten sich die Arbeitnehmer nicht mehr nach Abfahrtszeiten und Zugrouten richten. Die amerikanische Familie packte einfach alles in ihr Auto und fuhr, wann und wohin sie wollte. Für die Mittelklasse bedeutete das eine bisher nicht gekannte Freiheit. Nimmt man den Zweiten Weltkrieg einmal aus, überstieg die Produktion neuer Autos zwischen 1920 und 1960 die Geburtszahlen des Landes. Die ehemaligen Stammgäste Atlantic Citys konnten sich jetzt aussuchen, wo sie ihren Urlaub verbrachten.
    Die Verbesserungen im Personentransport bescherten der landesweiten Unterhaltungsindustrie ein Riesengeschäft. Überall stritten sich neu eröffnete Vergnügungsparks um das Geld ihrer Besucher. Atlantic City war nicht für einen Konkurrenzkampf gerüstet und wirkte von heute auf morgen überholt. Der Boardwalk, die Hotels, die Geschäfte und die Restaurants wiesen nicht nur Alterserscheinungen auf, sondern galten plötzlich als altmodisch. Die Stadt hatte ihren Reiz verloren, und ihre Gäste verbrachten ihre Freizeit lieber in moderneren Einrichtungen. Das Time -Magazine schrieb dazu: »Wenn man von den Tagungsbesuchern mal absieht, ist der typische Tourist in Atlantic City entweder arm, schwarz, alt oder alles davon. Die Veränderungen betreffen die Wirtschaft der gesamten Stadt – es herrscht ein andauernder physischer, wirtschaftlicher und sozialer Verfall.« 90
    Die bedrohliche Entwicklung wurde durch das kurzsichtige Vorgehen der Städteplaner und Geschäftsleute noch verschärft. Seit den Wohlstandsjahren verfügte die Stadt über ein touristisches Zentrum, das während acht bis zehn Monaten im Jahr hohe Umsätze erzielte. Besagtes Zentrum lag zwischen Boardwalk, Atlantic, Virginia und Arkansas Avenue und wies eine hohe Konzentration von familienbetriebenen Hotels und Pensionen, Restaurants und Geschäften auf. Er war die belebteste Gegend in der Stadt, und auf zwanzig Blocks verteilten sich Hunderte von florierenden Familienunternehmen, die die Grundlage des Hotelgewerbes bildeten. Sie beschäftigten die meisten Angestellten und zahlten die meisten Steuern – sie waren das wirtschaftliche Rückgrat der Stadt.
    Beim Versuch, den Markt der autofahrenden Touristen zu erschließen, erlaubte die Stadtregierung den Bauplanern, Motels an den Highways und weiteren Gegenden außerhalb dieses Kerns zu errichten. Es war symptomatisch für die vorherrschende »Gib den Leuten, was sie wollen«-Einstellung, und die Entscheidung erwies sich bald als unüberlegt und fatal für das Zentrum. Eine Weile rentierten sich die Motels, aber bald gab es nicht genug Gäste, um das Geschäft am Laufen zu halten.
    Die traditionellen Hotelbesitzer rund um den Boardwalk mussten dem langsamen Verfall hilflos zusehen. Seit Generationen hatten sie und ihre Familien die Besucher aus dem Nordosten in der Stadt willkommen geheißen, ihnen voller Stolz ihre Dienste angeboten und ihnen jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Sie führten Listen mit Stammgästen und schickten ihnen jedes Jahr Weihnachtskarten und spezielle Einladungen, bevor die

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