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Boardwalk Empire

Boardwalk Empire

Titel: Boardwalk Empire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Johnson
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ihre Arbeitskraft, und als die Jobs nun rarer wurden, bekamen sie noch dazu Konkurrenz durch arbeitslose Weiße. Hotelarbeit war jetzt nicht mehr nur Negro work . Durch die wirtschaftliche Misere hatte die Stadt nur noch wenig Verwendung für ihre afroamerikanischen Bürger. Die Enkel der schwarzen Arbeiter, die mitgeholfen hatten, aus dem Stranddorf einen attraktiven Urlaubsort zu machen, waren auf einmal unerwünscht.
    Die Stadtbevölkerung veränderte sich nicht nur in Bezug auf die Hautfarbe, sie wurde auch immer älter. In den 60er-Jahren war bereits ein Drittel der Einwohner über 65, einen höheren Anteil an älteren Leuten wies nur noch Tampa-St. Petersburg in Florida auf. Während die alten Leute in die Stadt kamen, zogen die jüngeren, die das Geld verdienten, weg. Viele der älteren Neuankömmlinge waren in ihrer Jugend selbst Besucher gewesen und erinnerten sich an die glanzvollen Tage von Atlantic City. Sie stellten sich ihr Pensionärsdasein wie ein nie endendes Wochenende vor, doch statt Entertainment, frischer Seeluft und ausgiebigen Spaziergängen über die Promenade sahen sie sich mit Verfall, Elend und Gewalt konfrontiert. Manche wurden zu Gefangenen in ihren eigenen vier Wänden. Die Bausubstanz der Häuser, von denen zwei Drittel vor 1940 errichtet worden waren, löste sich zusehends auf, und viele Gebäude waren nicht mehr sicher. Der Traum vom idyllischen Alterssitz geriet zum Albtraum.
    1964 wurde der bemitleidenswerte Zustand der Stadt landesweit im Fernsehen gezeigt. In jenem Sommer fand die nationale Versammlung der Demokratischen Partei in Atlantic City statt. Für den Ort war das eine Katastrophe. 1 5 000 Delegierte, Journalisten und Techniker trafen auf eine Stadt, die ihren Ansprüchen nicht im Ansatz genügte, und die Dienstleister kollabierten unter dem Ansturm der Tagungsgäste.
    »Schon am Vormittag brachen die Telefonverbindungen zusammen, und die verzweifelten Telefonisten weigerten sich, Nachrichten an die Politikergäste weiterzuleiten, für deren Arbeit Kommunikation essenziell war. Die versprochenen Fernseher waren defekt, und die zugesagten Klimaanlagen existierten nicht.« 91
    Als ob es nicht schon schlimm genug war, erhöhten die Hotelbetreiber während der Tagungswoche auch noch deutlich ihre Preise. Auswärtige Politiker und Medienvertreter waren nie besonders willkommen in der Stadt gewesen, somit schröpfte man Gäste, die man sowieso nie wiedersehen würde, gründlich. Der Schuss ging nach hinten los, weil die meisten Delegierten sich lautstark über die Ausbeutung beschwerten und das Fernsehen ihre Wut auf Atlantic City live und in Farbe ins ganze Land übertrug. Niemals zuvor hat ein Wirtschaftszentrum sich öffentlich so blamiert.
    Vielleicht schreibt man eines Tages über Atlantic City: Es wäre besser, wenn es nie existiert hätte. Die Zeit hat es zurückgelassen, es ist einer dieser grauen und tristen Orte geworden, die man überall in Amerika finden kann, von Coney Island in New York bis zu Knott’s Berry Farm in Kalifornien, wohin die Unter- und die Mittelschicht fährt, die sich nach einem Hauch von Luxus sehnt und nur Verwahrlosung vorfindet. Die Stadt, die mittlerweile nur noch von alten Leuten mit knappem Budget, von Jugendlichen, die sich am Wochenende sportlich betätigen, oder von geringverdienenden Familien, die sich in ein zu kleines Motelzimmer hineinzwängen, besucht wird, ist heruntergekommen und hat jeden Glanz verloren. 92
    Der Urlaubsort war schlechte Presse gewöhnt, aber nach der Tagung der Demokraten wurde aus der Kritik Spott. Die großen Magazine und Zeitungen verhöhnten die Stadt, wann immer sie konnten. Ob es die Patzer bei den Wahlen zur Miss Amerika war, ein Tourist, den man bei einer Auktion auf dem Boardwalk übers Ohr gehauen hatte, ein vergraulter Freimaurer oder ein unzufriedener Geschäftsmann auf Tagungsreise – die Medien berichteten darüber.
    Den Reportagen gemein war die oberflächliche These, dass Atlantic City seine Probleme selbst verschuldet hatte. Die Stadt hätte ihren eigenen Niedergang herbeigeführt, sie hätte sich nicht an ihr bewährtes Erfolgsrezept gehalten, was immer das war. Doch Atlantic City war nicht untergegangen, die Stadt war einfach in Vergessenheit geraten.
    Obwohl sich seine Stadt in einer Abwärtsspirale befand, schien Hap Farleys politische Macht unantastbar. 1956 führte die Opposition im Stadtrat einen aussichtslosen Wahlkampf, bei dem drei unabhängige Kandidaten fünf von Farleys Amtsinhabern

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