Boardwalk Empire
alles verkaufen. Weiner arbeitete allerdings nicht in der Tourismusbranche, sondern verdiente sein Geld damit, Kandidaten und ihre Wahlprogramme erstrahlen zu lassen. Er stammte aus San Francisco und wurde dem Komitee von Patrick McGahn vorgestellt, der ihn wegen seiner Arbeit für den kalifornischen Kongressabgeordneten Paul McCloskey kannte. Weiner hatte McCloskey einen Sensationssieg über die Abgeordnete und ehemalige Schauspielerin Shirley Temple Black beschert. Dieses Mal sollte Weiner allerdings keinen Traum platzen, sondern einen wahr werden lassen.
Es gab damals kaum jemanden, der die Wähler so um den Finger wickeln konnte wie Weiner. In seinen 18 Jahren als politischer Berater hatte er 172 Kampagnen geleitet, von denen nur dreizehn nicht von Erfolg gekrönt waren. Bei den 54 Bürgerentscheiden war seine Bilanz makellos. Weiner war ein manischer Kettenraucher, und seine Reden waren rasant und dennoch wohlüberlegt. Er war ein erstklassiger Stratege, der sich auf das Wesentliche konzentrierte, statt sich in Einzelheiten zu verlieren, und er konnte Massen begeistern. Das CRAC brauchte einen wie ihn. Ein Journalist, der Weiner 1976 beobachtete, schrieb:
Weiners Aufgabe war alles andere als leicht: Er musste mit einem ausgelutschten und unbeliebten Thema hausieren gehen, dem eh schon ein Verliererimage anhaftete, und es als frisch und wohlbekömmlich anpreisen. Aber das war eben die Stärke von Sanford Weiner: Er konnte Meinungen und Sichtweisen stets zum Positiven verändern. Er war ein Meister der Manipulation. Seine Erfolge sind der Beleg für einen modernen Grundsatz: Die Öffentlichkeit schluckt jede Pille, solange sie nur attraktiv verpackt ist. 106
Zunächst erkundete Sanford Weiner das Gelände. Er ließ eine Gruppe aus freiwilligen und bezahlten Mitarbeitern Fakten über die Wahlbezirke sammeln, darunter Wirtschaftsstatistiken, demografische Angaben und Informationen über die politischen Sympathien der kommunalen Wählerschaft. Aus den Recherchen ergaben sich Schnittmengen, die er über Computer mit früheren Wahlergebnissen und Wählerverhalten vergleichen ließ. Kombiniert mit Daten des Einwohnermeldeamts erhielt er so ein genaues Abstimmungsprofil aller Städte und Provinzen des Bundesstaats. Als letzte Maßnahme erfuhr er durch eine komplexe Telefonumfrage die vorherrschende Meinung zur Legalisierung des Glücksspiels. Weiners Umfragen wurden von Resorts International finanziert. Die Ergebnisse berücksichtigte man in wöchentlichen Strategiebesprechungen.
Der Durchschnittsbürger lässt sich bei Abstimmungen von Vorurteilen leiten, und eine effiziente Kampagne bestätigt den Wähler eher in seiner Meinung, statt zu versuchen, sie grundlegend zu ändern. Kurz vor der großen Medienoffensive fand Weiner heraus, dass circa 34 Prozent der Bürger für Kasinos in Atlantic City, 31 Prozent dagegen und 35 noch unentschlossen waren. Die erste Gruppe würde unabhängig von der Wahlkampfstrategie sowieso mit »ja« stimmen, die zweite für sich zu gewinnen war aussichtslos, somit waren die unentschlossenen Wähler Weiners primäre Zielgruppe.
Im Allgemeinen fällt es leichter, jemand gegen etwas aufzustacheln, als ihn von etwas zu überzeugen, und besonders bei politischen Entscheidungen lassen sich die Leute eher von negativen als von positiven Emotionen leiten. Die Befürworter der Kasinos hatten aber kein Feindbild für die Wähler parat, außer die Armut in Atlantic County, ein Thema, das in den anderen Bezirken nicht von großer Bedeutung war. Weiner wusste, dass er die Unentschlossenen für sich gewinnen musste, bevor jemand anders ihnen einen guten Grund gab, gegen die Reform zu stimmen.
Die Argumente dafür fand er in seinen ersten Telefonumfragen. Er erfuhr, dass acht von zehn Wahlberechtigten glaubten, die Regierung profitiere massiv von den Kasinos. Auch wenn sie keine Ahnung von konkreten Umsatzzahlen hatten, nahmen sie an, dass es sich dabei um riesige Summen handelte. Die Wähler wussten auch, dass Nevada der Bundesstaat mit dem niedrigsten Steuersatz war. Auf dieser Wahrnehmung baute Weiner seine Strategie auf: Die Bürger sollten glauben, dass auch sie an den Kasinos mitverdienten, weil dadurch der Steuersatz gesenkt wurde. Weiner hatte sein Publikum gefunden. Jetzt musste er ihnen nur noch die passenden Zahlen servieren.
Er beschäftigte die Beraterfirma Economic Research Associates of Washington, DC, die ihm für den Fall einer Kasino-Industrie in Atlantic City einen
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