Bob, der Streuner
Weihnachtsstimmung oder an Bobs niedlichem Santa-Paws-T-Shirt lag, jedenfalls waren alle entzückt über den Weihnachtskater.
»Oh, sieh mal, da ist Santa Paws!«, bekamen wir ständig zu hören. Viele Leute blieben stehen und warfen ein paar Münzen in meinen Gitarrenkasten. Andere wollten unbedingt Bob beschenken.
Wie diese elegante Dame, die gar nicht mehr aufhören wollte, Bob zu kraulen. »Was für ein außergewöhnlicher Kater!«, wandte sie sich nach einer Weile an mich. »Was wünscht er sich zu Weihnachten?«
»Keine Ahnung, Madam«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
»Na, dann frage ich anders: Was könnte er brauchen?«
»Hmm, ein zweites Geschirr mit Leine wäre nicht schlecht. Oder ein wirklich warmer Mantel für die eisigen Tage. Oder Spielsachen. Jedes Kind wünscht sich Spielzeug zu Weihnachten, nicht wahr?«
»Alles klar.« Sie nickte und verschwand, nicht ohne Bob noch mal innig über den Rücken gestreichelt zu haben.
Ich dachte nicht weiter darüber nach, aber nach einer Stunde war sie wieder da. Mit glücklichem Lächeln überreichte sie mir einen handgestrickten Weihnachtssocken mit Katzenbild vorne drauf. Ich warf einen Blick hinein. Er war bis obenhin vollgestopft mit allem, was ein Katzenherz begehrt. Futter, Spielzeug und vieles mehr.
»Sie müssen mir aber versprechen, den Socken nicht vor Weihnachten auszupacken. Legen Sie ihn bitte für Bob bis zur Bescherung unter den Christbaum.« Ich hatte nicht das Herz, ihr zu sagen, dass ich mir weder Christbaum noch Weihnachtsdekoration leisten konnte, um unser Zuhause festlich zu schmücken. Mehr als ein elektrisch beleuchteter Mini-Baum aus Plastik, den ich in einem Secondhandladen erstanden hatte, war nicht drin.
Ein paar Tage später änderte ich jedoch meine Meinung. Sie hatte recht. Ich sollte mir dieses Jahr ein richtiges Weihnachtsfest gönnen. Schließlich hatte ich etwas zu feiern: Ich hatte Bob und war nicht mehr allein!
Seit Jahren hatte mir Weihnachten nichts mehr bedeutet; ich fand, es gab für mich keinen Grund, dieses Fest zu feiern. Ich gehörte zu den Leuten, die Weihnachten eher fürchten.
In den letzten zehn Jahren hatte ich Weihnachten meist in Notunterkünften verbracht. Die Hilfsorganisationen meinten es gut mit uns, und die weihnachtlichen Festessen waren durchwegs fröhliche Veranstaltungen. Aber ich hatte an diesen Abenden immer einen Kloß im Hals, den ich nur mühsam unterdrücken konnte. Weil mich dieses Fest immer daran erinnerte, was mir fehlte: ein Zuhause und eine Familie. Es führte mir »alle Jahre wieder« schmerzlich vor Augen, wie sehr ich mein Leben verpfuscht hatte.
Einmal habe ich Heiligabend auch allein verbracht. Da war es noch schwerer, zu vergessen, dass meine Familie am anderen Ende der Welt lebte. Zumindest der Großteil meiner Familie. Ein anderes Mal war ich bei meinem Vater. Nachdem ich ein Jahr von der Bildfläche verschwunden war und auf der Straße gelebt hatte, hielt ich wieder losen Kontakt zu ihm. Manchmal rief ich ihn an, und diesmal lud er mich ein, Weihnachten mit ihm und seiner neuen Familie in seinem Haus im Süden von London zu verbringen. Es war kein schöner Abend. Mein Vater ließ mich deutlich spüren, was er von mir hielt. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Ich war kein Sohn, auf den man stolz sein konnte.
Ich war dankbar für das gute Essen und vor allem für die Gesellschaft. Trotzdem sind wir uns nicht einmal an diesem Abend nähergekommen. Wir haben diese Art von »Familienfest« nie wiederholt.
Aber diesmal war alles anders. Ich lud Belle ein, am Heiligabend auf einen Drink vorbeizukommen. Für den ersten Weihnachtstag hatte ich mich in Unkosten gestürzt und fertig zubereitete Truthahnbrust mit sämtlichen Beilagen gekauft. Ich konnte nicht richtig kochen und mir fehlten die nötigen Küchenutensilien. Für Bob hatte ich ein paar besondere Leckerbissen und seine Lieblingssorte »Hühnchen in feiner Soße« besorgt.
Wir standen relativ früh auf an diesem Tag und machten gleich einen kleinen Spaziergang, damit Bob seine Geschäftchen erledigen konnte. Dabei trafen wir mehrere Nachbarn, die auf dem Weg zu Verwandten waren. Wir wünschten uns »Frohe Weihnachten« und schenkten uns ein fröhliches Lächeln. Diese flüchtigen Begegnungen gaben mir ein warmes Gefühl der Zugehörigkeit. Kein Vergleich mit den Weihnachtsfesten der letzten Jahre.
Als wir nach Hause kamen, bekam Bob seine Santa-Socke. Er hatte sie schon vor Tagen entdeckt und wusste genau, dass sie für
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