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Bob, der Streuner

Bob, der Streuner

Titel: Bob, der Streuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Bowen
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Seitenstraße, die zurück zum Piccadilly Circus führte. Von dort aus könnte Bob in zwölf verschiedene Richtungen laufen: nach Mayfair oder über die Straße zur St. James oder zum Haymarket. Dann würde er nie wieder zurückfinden.
    Ich wusste nicht weiter. Trotzdem steckte ich meinen Kopf auch noch in die letzte Boutique vor der Seitenstraße, bevor ich zum Piccadilly Circus zurückkehren würde.
    »Haben Sie eine rote Katze gesehen?« Die beiden Verkäuferinnen beobachteten gerade etwas im hinteren Ladenbereich. Sie drehten sich zu mir um und ich sah ihre ratlosen Gesichter. Aber beim Wort »Katze« erhellten sich ihre Mienen.
    »Eine rote Katze?«, fragte eine von ihnen.
    »Ja, er hat ein Geschirr an mit, mit … blauer Leine.« Meine Gedanken überschlugen sich.
    »Er ist da hinten«, flüsterte die eine und gab mir Zeichen, hereinzukommen und die Tür zu schließen.
    »Wir haben die Tür zugemacht«, erklärte die andere Verkäuferin, »weil wir Angst hatten, er könne überfahren werden.«
    Und ihre Kollegin ergänzte: »Wir haben gehofft, dass ihn jemand suchen würde – wegen der Leine.«
    Sie führten mich vorbei an vielen offenen Schränken, die mit schicken Kleidern gefüllt waren. Ich konnte ein paar Preisschilder entziffern. Da kostete ein Teil mehr, als ich in einem Monat verdiente. Und dann sah ich Bob – ein kleines, zusammengerolltes Fellknäuel in der hintersten Ecke des letzten Schrankes.
    In den letzten Minuten, die auch Stunden gewesen sein konnten, hatte ich einen furchtbaren Gedanken verdrängt, der jetzt mit voller Wucht zuschlug: Vielleicht wollte er gar nicht zurück zu mir. Vielleicht hatte er die Schnauze voll von mir und diesem mickrigen Leben, das ich ihm bieten konnte. Vorsichtig näherte ich mich dem Schrank. Ich war auf alles gefasst. Was, wenn er bei meinem Anblick wieder die Flucht ergreifen würde? Mein Herz pochte laut und voller Angst, als ich langsam in die Knie ging.
    »Hey, Bob! Ich bin’s«, flüsterte ich leise.
    Mit einem Klagelaut sprang er mir direkt in die Arme.
    Laut schnurrend schmiegte er sich an mich und rieb seinen Kopf stürmisch an meiner Wange. Sofort waren all meine Ängste verflogen.
    »Hast du mich erschreckt, mein Großer!«, schimpfte ich lachend. »Ich dachte schon, ich hätte dich verloren!«
    Erst als ich hochsah, bemerkte ich, dass uns die beiden Verkäuferinnen beobachteten. Eine von ihnen wischte sich verstohlen über die Wange. Sie hatte Tränen in den Augen.
    »Ich bin so froh, dass Sie hereingekommen sind«, stieß sie mit einem Seufzer aus. »Er ist so ein Süßer. Wir haben uns schon gefragt, was wir nach Geschäftsschluss mit ihm machen sollen, falls keiner nach ihm fragt.«
    Sie kam näher und streichelte Bob. Wir unterhielten uns noch, bis die beiden so weit waren, den Laden zu schließen.
    »Auf Wiedersehen, Bob«, verabschiedeten sie sich von ihrem Findling. Mit Bob sicher und geborgen auf meiner Schulter, bahnte ich mir einen Weg durch die Menge, zurück zum Piccadilly Circus.
    Meine Gitarre lag tatsächlich noch da, wo ich sie achtlos hingeschmissen hatte. Vor Ripley’s wunderbarer Welt stand jetzt wieder ein normaler Wachmann. Vielleicht hatte er ein Auge darauf gehabt, oder einer der Sicherheitsleute der U-Bahn-Station. Ein Streifenwagen der Polizei stand auch ganz in der Nähe. Bob war sehr beliebt bei den Polizisten. Keine Ahnung, welcher gute Samariter da Wache gehalten hatte. Egal. Wichtig war nur, dass Bob und ich wieder vereint waren.
    Ohne Umschweife suchte ich meine Habseligkeiten zusammen, denn ich wollte nur noch nach Hause. Wir hatten heute kaum etwas verdient, aber das juckte mich wenig. Zielsicher steuerte ich auf dem Heimweg den nächsten Gemischtwarenladen an und kaufte von meinem letzten Geld einen Karabinerhaken. Den befestigte ich sofort an meinem Gürtel und hängte Bobs Leine ein. Ab sofort waren Bob und ich auf unseren gemeinsamen Ausflügen stets miteinander verbunden, das schwor ich mir. Im Bus setzte sich Bob auf meinen Schoß, anstatt wie sonst seinen eigenen Sitz neben mir zu beanspruchen. Mein Kater war oft undurchschaubar, aber manchmal verstand ich ihn auch ohne Worte. Wie in diesem Moment. Wir waren zusammen, und keiner von uns wollte jemals etwas daran ändern.

10
    Der Weihnachtskater
    I n den Tagen und Wochen nach dem schrecklichen Verschwinden von Bob am Piccadilly Circus waren wir unzertrennlich. Wir klammerten uns aneinander wie zwei Ertrinkende an einen Rettungsring. Diese Geschichte hatte uns

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