Bob, der Streuner
schmuddelig: die Zimmer, die Bettlaken, die Duschen und vor allen Dingen die Bewohner. Es war ein unerträglicher und menschenunwürdiger Ort. Bevor ich mich versah, war ich rückfällig geworden.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich zum ersten Mal beim Stehlen erwischt wurde. Es war bei Marks and Spencer’s an der Angel Station in Islington. Ich achtete sehr darauf, bei meinen kleinen Raubzügen nicht aufzufallen. Ich zog mich gut an und bändigte meine Rockmusiker-Mähne mit einem Lagerfeld-Zopf. Ich sah aus wie ein Postbote, der nach getaner Arbeit kurz in den Supermarkt schlüpft, um sich auf dem Heimweg noch schnell mit Milch zu versorgen. Aussehen war alles. Ich hatte sogar eine Postbotentasche mit dem Royal-Mail-Abzeichen drauf, die ich mir lässig über die Schulter hängte. Sie verlieh mir den nötigen Vertrauensbonus, sodass kein Mensch von mir Notiz nahm. Heute ist diese Tasche kein Freifahrtschein mehr, aber damals war es eine gute Masche, um unbehelligt zu klauen. Wäre ich mit einem Rucksack oder einer Einkaufstasche herumgewandert, hätte ich keine Chance gehabt, auch nur einen Kaugummi aus dem Laden zu schmuggeln. Aber an diesem Tag bei Marks and Spencer’s haben sie mich geschnappt. Mit Fleisch im Wert von 120 Pfund.
Auf der Tolpuddle Street im Stadtteil Angel kam ich zum ersten Mal in Polizeigewahrsam. Sie haben mich wegen Diebstahls zu 80 Pfund Strafe verdonnert. Aber ich wurde nicht verhaftet, weil es mein erstes Vergehen war.
Leider war mir dieser Zusammenstoß mit der Polizei keine Lehre. Die Sucht ließ mir keine andere Wahl – irgendwie musste ich an Geld kommen. Ich brauchte meine tägliche Dosis Heroin und manchmal auch ein bisschen Crack. Kein Geld für Drogen zu haben ist viel schlimmer als das Risiko, erwischt zu werden. Niemand will ins Gefängnis. Aber die Sucht ist stärker als alles andere. Jegliche Schuldgefühle werden von dieser unkontrollierbaren Gier ausgelöscht. Man versucht sich rauszureden, man belügt sich und andere. Niemand glaubt dir – weil du dir selbst nicht mehr glauben kannst. Wenn du ganz unten bist, kommst du nicht mehr hoch.
Die Straßenmusik war meine Rettung. Es war eine legale Einkommensquelle. Ich hatte keine kriminellen Verzweiflungstaten mehr nötig. Und trotzdem saß ich jetzt wieder in einer Zelle. Das war ein Schlag in die Magengrube.
Eine halbe Stunde ließen sie mich in der Zelle schmoren, dann öffnete sich die Tür, und ein Beamter in weißem Diensthemd gab mir Handzeichen, mitzukommen. »Los, komm schon«, bellte er.
»Wohin bringen Sie mich?«, wollte ich wissen. »Sie werden schon sehen«, war die unbefriedigende Auskunft. Er schubste mich in einen kleinen, kahlen Raum mit einem Tisch und ein paar Plastikstühlen. Zwei Beamte warteten schon auf mich. Sie machten einen ziemlich gelangweilten Eindruck.
Als sie anfingen mich zu verhören, bekam ich es mit der Angst zu tun.
»Wo waren Sie gestern Abend gegen 18.30 Uhr?«, fragte einer.
»Ähhm, ich habe in Covent Garden Gitarre gespielt«, antwortete ich.
»Wo?«
»In der James Street gegenüber vom U-Bahn-Ausgang«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
»Haben Sie die U-Bahn-Station irgendwann an diesem Abend betreten?«, fragte mich einer der beiden Polizisten.
»Nein, ich gehe nie in die Bahnhofshalle, ich fahre immer mit dem Bus«, gab ich Auskunft.
»Wie kommt es dann, dass wir mindestens zwei Augenzeugen haben, die behaupten, dass Sie in der U-Bahn-Station eine Kontrolleurin beschimpft und bespuckt haben?«
»Keine Ahnung«, antwortete ich entsetzt.
»Unsere Zeugen haben gesehen, wie Sie mit dem Aufzug nach oben kamen und dann versuchten, über das Drehkreuz zu springen, weil Sie keine Fahrkarte hatten!«
»Also, wie gesagt, das war ich ganz sicher nicht!«, wehrte ich ab.
»Und als eine Mitarbeiterin Sie ansprach, wurde diese von Ihnen beschimpft …«
Ich saß da und schüttelte den Kopf. Das konnte doch alles nicht wahr sein!
»… dann wurden Sie von der Mitarbeiterin zum Schalter geführt und aufgefordert, eine Fahrkarte zu kaufen«, ergänzte der andere Beamte.
»Sie kauften also gegen ihren Willen eine Fahrkarte und spuckten dann auf das Schalterfenster.«
Bei dieser lächerlichen Anschuldigung platzte mir der Kragen.
»So ein Blödsinn! Ich habe es bereits gesagt: Ich war weder gestern Abend noch sonst irgendwann in dieser oder sonst einer U-Bahn-Station. Ich fahre niemals mit der U-Bahn. Mein Kater und ich fahren immer und ausschließlich mit dem Bus!«
Die
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