Bob, der Streuner
ihn war. Ich holte jede Überraschung einzeln für ihn hervor. Da waren Leckerchen, Spielmäuse, Bälle mit Glöckchen und kleine, weiche Kissen, die mit Katzenminze gefüllt waren. Er war überglücklich und fing sofort an, mit seinem neuen Spielzeug zu spielen. Er benahm sich wie ein aufgeregtes Kind unter dem Weihnachtsbaum. Es war ein hinreißender Anblick, und ich war glücklich, ihn so zu sehen.
Gegen Mittag machte ich den Truthahn warm. Dann setzte ich uns beiden ein Weihnachtsmützchen auf, gönnte mir eine Dose Bier und machte es mir für den Rest des Tages vor dem Fernseher gemütlich. Es war mein schönstes Weihnachtsfest seit Jahren.
11
Die Verwechslung
I m Frühling und Sommer des Jahres 2008 wurde es immer schwieriger, ja fast unmöglich, in London als Straßenmusiker zu überleben.
Dafür gab es gleich mehrere Gründe. Die meisten Leute glauben, dass Straßenkünstler nicht von der aktuellen Wirtschaftslage abhängig sind. Aber da irren sie sich gewaltig. Die schwere Wirtschaftskrise in diesem Jahr machte auch vor mir und meinen Straßenkünstler-Kollegen nicht Halt. All die gutherzigen Leute, die bisher über das Kleingeld, das sie uns in den Gitarrenkasten schnippten, nicht weiter nachdenken mussten, hatten plötzlich nichts mehr für uns übrig. Ein paar nette »Stammkunden« sprachen es sogar aus. Sie hatten Angst, ihre Arbeit zu verlieren. Was sollte ich da noch sagen? Die Konsequenz für mich war, mehr Stunden auf der Straße zu spielen. Trotzdem verdiente ich meist weniger als früher, um Bob und mich über Wasser zu halten.
Das hätten wir noch verkraftet, aber gleichzeitig starteten die Behörden einen erbitterten Kleinkrieg gegen alle Straßenkünstler, die es wagten, außerhalb ihres zugeteilten Stadtteils aufzutreten. Keine Ahnung, warum sie gerade in dieser schweren Zeit damit anfingen. Ich zerbrach mir nur noch den Kopf darüber, wie ich mit Bob weiter überleben sollte.
Die meisten der Covent Guardians waren bisher ganz umgänglich gewesen. Natürlich hatte ich öfter Ärger mit den Strengsten von ihnen, aber mehr als den obligatorischen Platzverweis gab es bisher nicht zu befürchten. Doch ihr Umgangston änderte sich jetzt schlagartig. Sie konfiszierten unser Handwerkszeug, um ernst genommen zu werden. Ich glaube nicht, dass sie neue Befugnisse hatten; es war wohl eher der Befehl von oben, härter durchzugreifen.
Außerdem hatten sie Verstärkung bekommen. Einer dieser neuen Radikalen hatte schon ein paar Mal gedroht, mir die Gitarre wegzunehmen. Zum Glück bin ich nicht auf den Mund gefallen und konnte es ihm wieder ausreden. Jedes Mal versprach ich, mir im Bereich der Straßenmusiker einen Platz zu suchen oder nach Hause zu gehen. Aber ich gehorchte nur für eine halbe Stunde, dann schlich ich mich wieder zurück in die James Street.
Daraus wurde ein zermürbendes Versteckspiel, bis mir irgendwann die Verstecke ausgingen. Die neuen Covent Guardians hatten Argusaugen; sie spürten mich überall auf. Fast täglich wurde ich verscheucht oder verwarnt. Es laugte mich aus. Meine Zeit als Straßenmusiker ging zu Ende, auch wenn ich es noch nicht wahrhaben wollte. Bis ein Ereignis im Mai das Fass zum Überlaufen brachte.
Alles begann damit, dass mir auch die Mitarbeiter der U-Bahn-Station Covent Garden verstärkt zusetzten. Sie waren wirklich extrem schlecht auf mich zu sprechen. Ich weiß nicht, warum sie sich an meiner Musik gegenüber der U-Bahn-Station so störten. Sie überquerten extra die Straße, nur um mich zu beschimpfen.
Das hätte mich nicht weiter gestört, denn Pöbeleien gehören zu meinem Job. Aber sie hatten sich gegen mich verschworen und einen Plan ausgeheckt, um mich für immer zu vertreiben: mit Hilfe der Polizei. Deshalb hatte ich jetzt auch noch die Ordnungshüter am Hals, die jedes Mal umständlich meine Papiere überprüften und eine Verwarnung aussprachen. Ich reagierte auf diese höhere Gewalt wie immer: Ich packte zusammen, versprach, nie wiederzukommen, um genau das zu tun, sobald die Luft rein war. Als Vergehen sah ich das nicht, denn schließlich schadete ich doch niemandem, oder?
Aber eines Nachmittags eskalierte die Situation.
Bob und ich waren wie immer auf dem Weg nach Covent Garden. Wir hatten damals gerade Besuch von Dylan, den ich noch aus der Band kannte. Man hatte ihm fristlos die Wohnung gekündigt, weil er sich geweigert hatte, eine horrende Mieterhöhung seines neuen, skrupellosen Vermieters zu akzeptieren. Er brauchte für ein paar
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