Bob, der Streuner
wollte kein Risiko eingehen.
Dann trug ich Bob zu unserem Verkaufsplatz, holte seine Schüssel heraus und füllte sie halb mit Wasser. Zögernd steckte er seine Zunge hinein, nahm aber nur wenige Schlucke. Er rührte sich nicht vom Fleck, ließ den Kopf hängen und starrte teilnahmslos vor sich hin. Mir brach vor Verzweiflung der Schweiß aus. Vorsichtig zog ich den Napf weg, leerte das Wasser aus und löffelte den Inhalt seines Lieblingsschälchens hinein. Normalerweise steht Bob schon beim Anblick des Futterdöschens stramm. Seine Schüssel ist innerhalb von Sekunden ratzeputz leer und sauber. Aber nicht an diesem Tag. Er stand davor und starrte unentschlossen auf sein Lieblingsfutter. Als er den Kopf endlich senkte, schleckte er nur langsam und vorsichtig die Soße auf. Das leckere Fleisch rührte er nicht an. Ich bekam es richtig mit der Angst zu tun. So kannte ich Bob gar nicht. Es musste ihm hundsmiserabel gehen.
Halbherzig fing ich an, meine Zeitschrift zu verkaufen. Ich brauchte dringend Geld für die nächsten Tage, vor allem, wenn ich mit Bob zum Tierarzt musste und er Medizin brauchte. Aber ich hatte nicht die Nerven dafür. Meine Aufmerksamkeit gehörte mehr Bob als meinen Kunden. Mein Kater lag völlig teilnahmslos auf meinem Rucksack, und mir fehlte die Kraft, die Passanten mit lockeren Sprüchen auf mich aufmerksam zu machen. Nach zwei Stunden gab ich auf. Bob hat zwar nicht mehr gebrochen, aber er war völlig apathisch. Er gehörte nach Hause, raus aus dem Londoner Nieselregen, rein in die warme Wohnung.
Bisher hatte ich wirklich Glück gehabt mit Bob. Er war noch nie krank gewesen, sondern immer hundertprozentig fit. Anfangs hatte er mal Flöhe gehabt, aber das ist normal für einen Kater, der von der Straße kommt. Seit einer Floh- und Wurmkur gab es keinerlei gesundheitliche Probleme mehr.
Trotzdem ließ ich ihn regelmäßig im Blue Cross Bus durchchecken. Die Ärzte und Schwestern dort kannten ihn gut und hatten seinen guten Gesundheitszustand immer gelobt. Jetzt war ich völlig hilflos. Die Angst um Bob schnürte mir die Kehle zu und nahm mir fast die Luft zum Atmen. Als er auf dem Rückweg im Bus wieder auf meinem Schoß schlief, musste ich mehr als einmal die Tränen zurückhalten. Bob war mein Ein und Alles. Der Gedanke, ihn zu verlieren, machte mich schier verrückt. Aber ich konnte an nichts anderes mehr denken.
Endlich zu Hause angekommen, verkroch sich Bob sofort unter der Heizung, rollte sich zusammen und schlief für den Rest des Tages. In dieser Nacht konnte ich kaum schlafen. Bob war so erschöpft, dass er mir nicht mal ins Schlafzimmer folgte. Immer wieder stand ich auf, um nach ihm zu sehen. Auf allen Vieren kroch ich im Dunkeln leise zu ihm, um mich zu vergewissern, dass er noch atmete. Es war ein Schock, als ich mir einbildete, ihn nicht mehr zu hören. Flach auf dem Boden robbte ich mich an ihn heran, um ihm die Hand auf sein Zwerchfell zu legen. Ich war furchtbar erleichtert, als er ganz leicht zu schnurren begann.
Ich war so pleite, dass ich am nächsten Morgen unbedingt arbeiten musste. Aber wie? Sollte ich Bob allein in der Wohnung lassen? Oder warm einpacken und mitnehmen, damit ich ihn im Auge behalten konnte?
Zumindest war das Wetter viel besser als am Vortag. Sogar die Sonne hatte beschlossen, sich zu zeigen. Als ich mit meiner Müslischüssel aus der Küche kam, hob Bob den Kopf und sah mich an. Er schaute tatsächlich etwas frischer aus dem Pelz. Als ich ihm sein Futter hinstellte, schleckte er schon etwas eifriger daran herum als am Tag zuvor.
Das war ein gutes Zeichen, und ich beschloss, ihn mitzunehmen. Es würde noch zwei Tage dauern, bis ich ihn am Donnerstag zur Blue-Cross-Tierambulanz bringen konnte. Also wollte ich zumindest herausfinden, was es mit Bobs Symptomen auf sich hatte. Wir machten einen Zwischenstopp in der Bibliothek, und ich setzte mich vor einen der öffentlichen Computer.
Ich hatte ganz vergessen, dass es nicht empfehlenswert ist, medizinische Webseiten zu durchforsten. Nichts als Horrorszenarien!
Ich tippte ein paar Stichworte ein und fand eine informative Website. Als ich Bobs wichtigste Symptome eingab – Lethargie, Erbrechen, Appetitlosigkeit – erschienen eine Menge Krankheitsbilder. Es ging los mit Abstoßen von Katzenhaar aus dem Magen und schweren Blähungen. Das war es nicht. Die nächsten auf der Liste waren: Addison-Syndrom, Nierenversagen, Arsenvergiftung. Das war ziemlich beängstigend, aber es kamen noch schlimmere
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