Bob, der Streuner
weißt doch, dass du damit gegen die Regeln verstößt.«
»Aber das stimmt nicht«, versuchte ich mich zu verteidigen, aber sie hielt mir nur abwehrend eine Handfläche entgegen.
»Ich will gar nichts hören. Du sollst sofort ins Büro fahren. Sie wollen mit dir reden.«
Ich nickte ergeben und wollte mir einen Stapel Zeitschriften holen. Ihre Stimme hielt mich auf: »Nein, es gibt keine Zeitschriften, bis du das in Vauxhall geklärt hast.«
»Was soll das denn? Wie soll ich für mich und Bob sorgen, wenn ich keine Zeitschriften von dir bekomme?« Jetzt war ich entsetzt.
»Tut mir leid, aber du bist gesperrt, bis das mit der Personalabteilung geklärt ist.«
Ich war sauer, aber nicht allzu überrascht. Eine gewisse Feindseligkeit der Kollegen war mir nicht entgangen.
Es gab tatsächlich eine Regel für uns Verkäufer, die lautete: Verkaufe deine Magazine nur an dem dir zugeteilten Platz. Man darf niemals den Platz eines anderen einnehmen und man darf mit seinen Zeitschriften nicht »flanieren«. Das heißt, man darf beim Verkaufen seinen Standort nicht verlassen und schon gar nicht verkaufen, während man durch die Straßen läuft. Ich war zu hundert Prozent mit dieser Regel einverstanden. Schließlich hätte es mir auch nicht gefallen, wenn ein Kollege neben meinem Standort herumlaufen und The Big Issue schwingen würde. Für mich war diese Regel die gerechteste und einfachste Art, Londons Armee von Zeitungsverkäufern unter Kontrolle zu halten.
Trotzdem hatten mich in letzter Zeit zwei Kollegen angesprochen und des »Flanierens« beschuldigt. Sie warfen mir vor, Zeitschriften verkauft zu haben, während ich mit Bob an der Leine herumlief. Das stimmte zwar nicht, aber ich wusste, warum sie das dachten.
Egal, wohin ich mit Bob ging, wir wurden immer aufgehalten. Die Passanten wollten Bob entweder streicheln oder ein Foto mit ihm machen.
Der einzige Unterschied war, dass ich inzwischen Big-Issue -Verkäufer war, und da kam es natürlich auch vor, dass jemand eine Zeitschrift kaufen wollte.
Ich versuchte meinen Kollegen zu erklären, in welche Zwickmühle mich ein solcher Kundenwunsch brachte. Die offizielle Antwort war klar: Ich musste die Leute darauf hinweisen, doch bitte zu meinem Verkaufsplatz zu kommen oder sich die Zeitschrift beim nächstgelegenen Verkäufer zu holen. Aber wozu das führen würde, war auch klar: Kein Verkauf, also kein Gewinn für irgendeinen von uns.
Einige Kollegen fanden das einleuchtend und waren zufrieden; andere blieben uneinsichtig und nahmen mir die Sache weiterhin übel.
Ich wusste auch gleich, wer mich angeschwärzt hatte. Dazu musste ich kein Genie sein.
Vor etwa vier Wochen war ich auf der Long Acre unterwegs gewesen. Dabei war ich an Geoff vorbeigekommen, der vor dem Bodyshop Zeitungen verkauft. Gordon Roddick, Ehemann der Gründerin der Body Shops, war ein großer Gönner von The Big Issue. Deshalb gab es vor jedem Body Shop in London einen Verkaufsplatz unseres Magazins. Ich kannte Geoff vom Sehen und grüßte ihn freundlich, als ich an ihm vorbeiging. Nur wenige Schritte später wurde ich von einem amerikanischen Ehepaar wegen Bob aufgehalten.
Die beiden waren unglaublich höflich, typisch mittlerer Westen.
»Entschuldigen Sie bitte, Sir«, sprach mich der Ehemann an, »dürfte ich vielleicht ein Foto von Ihnen und Ihrem Begleiter machen? Unsere Tochter liebt Katzen, und sie würde sich über dieses Bild sicher sehr freuen.«
Konnte ich da Nein sagen? Mich hatte seit Jahren niemand mehr »Sir« genannt, falls das überhaupt schon mal vorgekommen war.
Inzwischen war ich Profi darin, Bob und mich für die Fotos von Touristen ins rechte Licht zu rücken. Ich setzte ihn auf meine rechte Schulter, mit seinem Gesicht genau neben meinem.
Auch bei dem amerikanischen Ehepaar kam unsere Pose gut an. »Oh, vielen Dank«, zwitscherte die Ehefrau. »Unsere Tochter wird ganz aus dem Häuschen sein vor Freude über dieses Bild.«
Sie hörten gar nicht mehr auf, sich zu bedanken, und wollten mir unbedingt eine Zeitschrift abkaufen. Ich sagte sogar Nein und zeigte auf Geoff, der ja nur ein paar Meter entfernt an seinem Platz stand.
»Er ist der offizielle Verkäufer für diese Gegend hier, deshalb hat nur er hier das Verkaufsrecht«, erklärte ich den beiden.
Aber das wollten die beiden nicht und gingen weiter. Im letzten Moment lehnte sich die Frau kurz an mich und schob mir unauffällig einen Geldschein in die Hand.
»Hier, der ist für Sie«, flüsterte sie. »Kaufen
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