Bob, der Streuner
wäre Balsam für meine geschundene Seele.
Ja, die Liste mit den Vorteilen war lang. Aber die mit den Nachteilen leider noch länger. Und ganz oben auf der Liste, die gegen einen Urlaub in Australien sprach, stand: Bob!
Wer sollte sich um ihn kümmern? Woher sollte ich wissen, ob er auf mich warten würde? Wollte ich wirklich wochenlang von meinem Seelenverwandten getrennt sein?
Die erste dieser Fragen erledigte sich schneller, als ich dachte.
Kaum hatte ich Belle von der Einladung meiner Mutter erzählt, erklärte sie sich bereit, Bob zu sich zu nehmen. Sie war die ideale Bob-Sitterin, und ich vertraute ihr blind. Aber ich kam nicht umhin, mich zu fragen, wie Bob meine Abwesenheit verkraften würde. Ein weiteres Problem war das Geld. Auch wenn meine Mutter für das Flugticket aufkommen würde, brauchte ich Geld, um überhaupt einreisen zu dürfen. Ich hatte mich umgehört und erfahren, dass man mindestens 500 Pfund dabei haben musste, um ins Land gelassen zu werden.
Ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht und tatsächlich ein paar Tage und Nächte hin und her überlegt. Letztendlich wollte ich fliegen. Warum auch nicht? Ein bisschen Abwechslung und Sonnenschein würden mir guttun.
Es war noch so viel zu erledigen! Vor allem brauchte ich einen neuen Reisepass. Das war gar nicht so leicht mit meiner Vergangenheit, aber dank der Hilfe eines Sozialarbeiters konnte ich all die nötigen Papiere, inklusive einer neu ausgestellten Geburtsurkunde, vorlegen.
Dann musste ich den Flug buchen. Air China hatte das beste Angebot. Von London nach Peking und von dort aus weiter nach Melbourne. Es würde länger dauern als mit jeder anderen Fluggesellschaft, und der Zwischenstopp in Peking dauerte ewig. Aber es war bei Weitem das günstigste Angebot. Meine Mutter hatte mir inzwischen ihre E-Mail-Adresse gegeben, und so sandte ich ihr auf diesem Weg alle nötigen Informationen sowie meine Passnummer. Ein paar Tage später erhielt ich, ebenfalls per E-Mail, die Buchungsbestätigung. Soweit war alles geregelt.
Jetzt fehlten mir nur noch die 500 Pfund. Ich hatte noch einen Monat Zeit bis zu meinem Abflug. Um das Geld aufzubringen, arbeitete ich von früh bis spät, sieben Tage die Wochen und bei jedem Wetter. Bob war fast immer dabei; nur wenn es stark regnete, ließ ich ihn zu Hause, nicht nur wegen seiner Abneigung gegen Regen, sondern vor allem, weil ich Angst hatte, er könne sich vor meiner Abreise noch erkälten. Einen kranken Bob hätte ich nie und nimmer allein gelassen.
Jeder Cent, den ich übrig hatte oder den ich mehr verdiente, wanderte in eine kleine Blechdose, die ich gefunden hatte. Langsam aber sicher füllte sie sich. Kurz vor meinem Abflugdatum hatte ich das nötige Bargeld zusammen. Ich konnte tatsächlich fliegen.
Am Tag meiner Abreise fuhr ich schweren Herzens zum Londoner Flughafen Heathrow. Ich hatte mich in Belles Wohnung von Bob verabschiedet. Für ihn war das bei Weitem nicht so schlimm wie für mich. Woher sollte er schließlich wissen, dass ich für sechs Wochen verschwand? Mir war völlig klar, dass er bei meiner Freundin bestens aufgehoben war, aber Sorgen machte ich mir trotzdem. Ich war eine echte Glucke geworden, wenn es um Bob ging.
Ich hatte einen angenehmen und entspannten Flug erwartet, aber da war ich auf dem Holzweg. Ich war sechsunddreißig Stunden unterwegs und hatte nichts als Probleme.
Dabei fing alles ganz gut an. Der Flug nach Peking mit der Air China dauerte elf Stunden und verlief ohne Zwischenfälle. Ich sah mir den Bordfilm an und nahm eine Mahlzeit zu mir. Leider konnte ich nicht schlafen, weil ich mich ziemlich mies fühlte. Das lag nur zum Teil an meinen Tabletten; vor allem war das schlechte Londoner Wetter daran schuld. Ich hatte wohl zu viele Stunden im strömenden Regen gestanden, um The Big Issue zu verkaufen. Und so war ich plötzlich erkältet und schniefte und nieste den gesamten Flug über. Bei einer nicht mehr enden wollenden Nies-Attacke erntete ich zwar ein paar schräge Blicke der Stewardessen und Passagiere um mich herum, aber bis Peking kümmerte mich das wenig.
Als wir auf dem Flughafen ausrollten, machte der Kapitän über das Bordmikrofon eine Durchsage, erst in Chinesisch, dann in Englisch: Wir wurden aufgefordert, bis auf Weiteres sitzen zu bleiben.
Seltsam , dachte ich noch.
Dann kamen zwei uniformierte Chinesen mit Gesichtsmasken an Bord. Sie gingen durch den Mittelgang und steuerten direkt auf mich zu. Bei mir angekommen, blieben sie vor
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