Bob und wie er die Welt sieht
Die Autofahrer im Stau ließen die Fenster herunter, um ein bisschen Frischluft zu schnappen. Als wir an ihnen vorbeizischten, hätte ich den einen oder anderen Gesichtsausdruck dieser staugeplagten Londoner gern fotografiert. Der Anblick war unbezahlbar.
Ein paar Kinder streckten die Köpfe aus den Sonnendächern ihrer Autos und kreischten vor Vergnügen. Einigen Autofahrern stand der Mund offen vor Staunen. Aber das war auch verständlich. Wann sieht man schon mal eine rote Katze auf einem Fahrrad einen Hügel hinunterheizen?
Insgesamt brauchten wir nur eine halbe Stunde nach Hause. Das war ziemlich beachtlich, wenn man die vielen Pausen bedenkt, die wir eingelegt hatten.
Kurz vor unserem Wohnhaus sprang Bob so selbstverständlich von meiner Schulter, als würde er aus dem Bus aussteigen. Das war ganz typisch für seine entspannte Haltung zum Leben. Er hatte auch dieses Abenteuer mit Bravour gemeistert: ein ganz normaler Tag mit James in London.
Den Rest des Tages und den ganzen Abend verbrachte ich damit, an dem Fahrrad herumzuschrauben. Die Vorderbremsen waren schnell repariert und auch alles andere wurde generalüberholt. Stolz präsentierte ich Bob das Ergebnis meiner Arbeit: »Schau mal, Bob, hier ist es: dein ganz persönliches Bob-Mobil!«
Ich bin zwar nicht ganz sicher, aber ich meinte in seinem Blick den Ausdruck von Zustimmung zu lesen.
*
Ich werde oft gefragt, wie Bob und ich uns ohne Worte so gut verständigen können.
»Das ist einfach«, antworte ich dann immer. »Er hat seine eigene Sprache und ich habe gelernt, sie zu verstehen.«
Das klingt vielleicht verrückt, aber es ist wahr.
Bob verständigt sich hauptsächlich über Körpersprache. Er hat eine ganze Palette an Signalen, die seine Gefühle ausdrücken. Oder noch genauer, mit denen er mir zu verstehen gibt, was er gerade will.
Wenn er beispielsweise zur Toilette muss, während wir irgendwo in London herumlaufen, dann brummt und knurrt er leise. Dabei fängt er an, auf meiner Schulter herumzuzappeln. Ohne ihn auch nur anzusehen, weiß ich, was er tut: er sieht sich nach einer Stelle mit weicher Erde um, wo er sein Geschäft erledigen kann.
Wenn er an der Leine neben mir her läuft und mir sagen will, dass er müde ist, stößt er ein sanftes, tiefes Murren aus, dass sich wie ein Klagelaut anhört. Wenn ich darauf nicht gleich reagiere, bleibt er wie angewurzelt stehen. Nichts und niemand bewegt ihn dann zu einem weiteren Schritt. Nur seine großen Augen flehen: »Komm schon, Kumpel, nimm mich hoch, ich kann nicht mehr!«
Erschreckt er sich auf meiner Schulter, macht er einen Katzenbuckel. Ist er dabei auf dem Boden, geht er mit aufgeplustertem Fell so lange rückwärts, bis er zwischen meinen Beinen steht, sodass ich ihn schnell hochnehmen kann.
Aber Bob ist kein ängstlicher Kater. Er lässt sich weder von der durchdringenden Sirene eines Krankenwagens noch von dem schrillen Lärm eines Polizeiautos aus der Ruhe bringen. Durch unsere tägliche Arbeit in der Innenstadt von London ist er daran gewöhnt. Nur die Luftdruckbremsen von großen Lastwagen und Bussen machen ihm immer noch zu schaffen. Jedes Mal, wenn er dieses laute, zischende Geräusch hört, weicht er verschreckt zurück. Auch die lauten Schüsse und Explosionen von Feuerwerken sind ihm nicht geheuer. Aber aus sicherer Entfernung wie vom Fenster unserer Wohnung aus beobachtet er die hellen, auseinandersprühenden Funken am Nachthimmel mit mehr Begeisterung als so mancher Mensch.
Sein Schwanz ist ein weiteres wichtiges Ausdrucksmittel. Ich erkenne seine Laune an der Bewegung dieses wichtigen Gleichgewichtsorgans aller Katzen. Nur wenn er döst oder schläft, steht dieses Gefühlsbarometer ganz still. Ist Bob wach, bewegt sich auch sein Schwanz. Und diese Schwingungen kann ich deuten. Die häufigste Schwanzbewegung ist ein federleichtes Hin- und Herschwingen der Spitze, das man am ehesten mit der niedrigsten Stufe eines Scheibenwischers vergleichen kann. Ich nenne es sein »behagliches Wedeln«. In den vielen Stunden, die wir zusammen in London herumsaßen, habe ich gelernt, dass es für Neugier oder Aufmerksamkeit steht.
Die Frau im Tweedkostüm, die versucht hatte, Bob zu entführen, war nicht die erste, die von dieser Schwanzbewegung auf Unmut schloss. Natürlich kann Bob auch böse werden, aber dann steht das Schwanzbarometer eher auf schnell und hart schlagender Fliegenklatsche.
Bob hat auch seine zärtliche Seite. Wenn er sich beispielsweise um mich sorgt, kommt
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