Boccaccio
hervorragenden Beispielen
der Verschwendung und Habgier, des Aberglaubens,
der Wollust, der Gefräßigkeit, Mordgier, Verschlagen-
heit und Eitelkeit rings umgeben war. Am gründ-
lichsten jedoch unterzog er sich dem Studium der
Liebe, deren Leiden und Freuden er bis zur Neige an
sich selber erfuhr.
Eines Tages nämlich, um die Zeit der Ostern, ver-
mutlich im Jahre , erblickte er in einer Kirche zu
Neapel die Dame, welche sein Herz zu Lust und Pein
von da an jahrelang gefangen hielt. Diese war Donna
Maria, die natürliche Tochter des Königs Robert, wel-
Die Pest in Florenz
che für eine Tochter des Grafen von Aquino galt und
mit einem angesehenen Edelmann vermählt war. Die
schöne und vornehme Dame betrachtete bald auch von
ihrer Seite den hübschen jungen Florentiner mit Teil-
nahme und ist eine lange Zeit, nicht ohne Gewissens-
bisse und Furcht vor ihrem Eheherrn, seine Geliebte
gewesen. So genoß, wie in der schönsten Abenteuer-
novelle, der Bastard eines kleinen Kaufmanns die
Tochter eines großen Königs.
Über alledem ließ Boccaccio das kanonische Recht
unbehelligt in den Pergamentrollen schlummern und
vom Lehrstuhl ertönen. Er trieb nach seiner Neigung
Latein und Astrologie, im übrigen wandte er sich der
heiteren Seite des Lebens zu und ward nach Kräen
seiner Jugend froh. Er verfaßte in diesen Jahren, zu-
meist für seine Geliebte, eine unglaubliche Menge von
Gedichten und mehrere Romane, von welchen heute
niemand mehr redet. In diesen legte er seiner Dame den
Namen Fiammetta bei, und noch manche Jahre später
hat er in wehmütiger Liebeserinnerung diesen Namen
einer von den Damen des Dekameron gegeben. Ohne
Zweifel ist jene Zeit die heiterste und glücklichste in
seinem Leben gewesen. Allein, wie wir sehen, daß
auch den goldensten Tagen zu früh die Sonne sinkt, so
nahm auch diese Lust zu ihrer Zeit ein Ende.
Im Jahre befahl der Vater seinem Sohne, nach
Florenz zurückzukehren, und nach längerem Zögern
machte dieser sich unmutig auf den Heimweg. Der
Alte, für den Giovanni ohnehin keine allzu starke Zärt-
lichkeit empfand, hatte inzwischen auch noch eine ge-
wisse Monna Bice Bostichi geheiratet, worüber der
heimkehrende Sohn nicht eben erfreut war. Es gescha-
hen jedoch weit schlimmere und wichtigere Dinge,
über welchen er diese kleineren Sorgen vergaß. Es war
die Zeit, in welcher der in Florenz so übel beleumdete
Herr Gautier von Brienne, genannt Herzog von Athen,
sich für eine kurze Zeit zum Tyrannen der Stadt empor-
schwang. Dieser war ein frecher Abenteurer und hatte
im Solde der Republik gegen Pisa gedient, warf sich nun
aber mit Hilfe des niedrigsten Pöbels zum Herrscher auf
und schlüre die Monate seiner Herrlichkeit zügellos
wie ein Trunkener den letzten Becher. Die Stadt und das
ganze Staatswesen drohten in Trümmer zu gehen.
Boccaccio, ein unbestechlicher Republikaner, hat
das Schicksal des Herzogs von Athen, der mit Schimpf
von der Bürgerscha vertrieben wurde, in einer Ab-
handlung beschrieben. Nun schienen ihm allmählich
die Zustände in Florenz und im väterlichen Hause so
wenig erträglich, daß er schon im Jahre von
neuem nach Neapel ging. Die Rechtsgelehrtheit hatte
er schon früher aufgegeben. Und so genau er auch im
Dekameron die Pest in Florenz geschildert hat, ist er
zurzeit derselben doch nicht daselbst gewesen, sondern
in Neapel, wo freilich der schwarze Tod nicht weniger
grauenha wütete. Es starb damals auch seine Geliebte
Maria, und er widmete ihrem Tode zwar einige trau-
ernde Verse, jedoch war seine ursprünglich so heige
Leidenscha mit den Jahren erloschen. Es scheint au-
ßerdem, als habe Donna Maria ihn schon früher wieder
fahren lassen, obwohl er in seiner Erzählung Fiammetta
das Gegenteil darstellt. Nicht lange darauf starb auch
sein Vater, und er mußte wieder nach Florenz zurück-
kehren.
Von da an erblicken wir sein Bild verändert; sein Le-
ben verlief ohne heige Erschütterungen, und er alterte
als ein tüchtiger und angesehener Bürger. Im Alter von
ungefähr Jahren schrieb er sein unsterbliches Deka-
meron , und man könnte glauben, er habe alle seine
Schalkhaigkeit und fröhlich lachende Untugend darin
liegen lassen. Nur noch einmal widerfuhr ihm eine bit-
tere Liebesgeschichte. Er verliebte sich heig in eine
vornehme Witwe, welche ihm aber einen bösen
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