Boccaccio
Possen
spielte. Nämlich sie stellte sich, als wäre sie geneigt, die
Wünsche des Dichters zu erfüllen, und benutzte als-
dann die erste Gelegenheit, ihm eine Nase zu drehen
und ihn unter dem Hohngelächter all ihrer Bekannten
und Freunde kläglich heimzuschicken. Das war Boc-
caccios letzte Liebe.
Im übrigen, da der Vater ihm eine kleine Erbscha
hinterlassen hatte, lebte er als ein stillgewordener
Mann und widmete sich allerlei gelehrten Studien. Den
Griechen Leontius Pilatus hatte er, um seine Sprache zu
lernen, über zwei Jahre lang bei sich im Hause. Öers
übernahm er im Dienste der Stadt politische Auräge
und Ambassaden, unter anderem besuchte er dreimal
als Gesandter den Papsthof zu Avignon. Mit großem
Eifer forschte er dem Leben und den Schrien des
Boccaccio im Gespräch mit Petrarca
Dante nach, den er ungemein verehrte. Mit dem etwas
älteren Petrarca, welcher damals von sich selber und
von jedermann für den größten lebenden Dichter ge-
halten wurde, pflegte er eine edle und herzliche Freund-
scha und war untröstlich, als dieser im Jahre
starb.
Aber das Leben dieses merkwürdigen Mannes, des-
sen Anfang ein Abenteuer und dessen erste Häle ein
Hymnus der Liebe zu sein scheinen, verwandelte sich
zum Schlusse noch in eine fromme Posse. Noch als ein
Die Kirche San Stefano
rüstiger Mann hatte er das Dekameron geschrieben, wel-
ches bald auf schalkhae, bald auf leidenschaliche Art
dem Dienste schöner Frauen huldigt und über Mönche
und Priester unerschöpflichen Hohn ergießt. Nicht gar
viel später aber gelang es einem schwindelhaen Mön-
che, namens Ciani, ihn zu bekehren, und zwar vermit-
telst einer nicht einmal sehr durchtriebenen Bauernfän-
gerei, und von da an hörte man ihn seine schönsten
Werke nie anders denn als verwerfliche Jugendsünden
und Verirrungen bezeichnen. Noch viel schlimmer
aber und lächerlicher ist es, daß der vormalige Schalk
und Weiberfreund in seinen älteren Tagen zu einem ar-
gen Frauenverächter ward und ein Buch mit dem Titel
Corbaccio geschrieben hat, in welchem man, wenn man
Lust hat, Hunderte von schimpflichen, grausamen,
haßerfüllten und anklagenden Reden über die Weiber
finden kann – dazu in einer Redeweise, welche an Un-
flätigkeit auch die kühnsten Stellen seiner früheren
Werke zehnmal übertri. Das sollte seine Rache an je-
ner grausamen Witwe sein; allein der Dichter tat damit,
wie wir es o sich ereignen sehen, nur einen Schnitt ins
eigene Fleisch.
Eine späte Ehre ward ihm zuteil, indem er nach man-
nigfachen Studien und Reisen im Jahre zum öf-
fentlichen Ausleger der göttlichen Komödie des Dante
zu Florenz ernannt wurde, wofür er jährlich hundert
Goldgulden bezog. Diese Vorlesungen hielt er unter
großem Zulaufe in der Kirche Santo Stefano bis kurz
vor seinem Tode. Er starb am . Dezember ,
zweiundsechzig Jahre alt, und wurde ehrenvoll bestat-
tet. Die Liebe zu der großen Dichtung des Dante ver-
lieh seinen späteren Tagen, trotz des bösen Corbaccio ,
noch eine gewisse ehrwürdige Glorie. Für die nachfol-
genden Jahrhunderte aber ist er wieder der Geschich-
tenerzähler mit der Schelmenmiene geworden, und
dem heutigen Geschlecht ist an einem einzigen Witz aus
einer seiner Novellen mehr gelegen als an der ganzen
Gelehrsamkeit und Ehrbarkeit seines ehrenvollen Al-
ters.
Über die Dichtergröße des Boccaccio, welchen
man gerne den dritten unter den großen italieni-
schen Poeten nennt, steht in vielen Büchern viel ge-
schrieben, was alles zu wiederholen nicht vonnöten
ist. Er war unter denen, welche jemals kunstgerechte
Novellen verfaßt haben, nicht nur der Erste, sondern
indem er diese scheinbar geringe Kunst früher als
irgendein anderer betrieben, ja eigentlich erfunden
hat, übte er sie sogleich mit einer solchen Vollendung
aus, daß er von keinem seiner unzähligen Nachfol-
ger übertreffen oder auch nur erreicht werden konn-
te. Nicht weniger groß ist aber sein Verdienst um die
italienische Sprache, welche er nicht etwa nur ver-
schönert und ausgeschmückt, sondern in gewissem
Sinne eigentlich neu geschaffen hat. Denn obwohl
schon lange vor ihm der Florentiner Dante das größ-
te und schönste italienische Gedicht verfaßt hat, war
doch das Gebiet der Erzählung und die Prosasprache
überhaupt noch von keinem mit einiger Kunst
Weitere Kostenlose Bücher