Boccaccio
Zeichner und Maler sich an
ihm vergnügt und viele seiner Novellen in Bildern dar-
gestellt; und noch im Jahre hat der britische Ma-
lermeister Millais aus der Novelle vom Basilikumtopf
(Tag , Novelle ) eine Szene in einem berühmten Ge-
mälde abgebildet.
Der vielen anstößigen Stellen wegen hat man schon
frühe des öeren sogenannte verbesserte und purgierte
Ausgaben veranstaltet. Was in solchen Fällen, zumeist
von geistlichen Herren, am Text verballhornt und ge-
schändet worden ist, läßt sich leicht denken. Dabei
kümmerte man sich übrigens wenig um die derben und
heiklen Stellen, sondern vor allem um jene, in welchen
Boccaccio der Geistlichkeit unliebsame Wahrheiten ge-
sagt hat. Einmal, ums Jahr , wurden zu Florenz
vier Herren ernannt zu der Aufgabe, das Dekameron
endgültig von allen gegen die Satzungen der Kirche
Sandro Botticelli, Wilde Jagd
verstoßenden Stellen zu säubern. Da wurden, wo im-
mer es nötig schien, aus den Mönchen Bürger und
Ritter, aus den Nonnen Edeldamen gemacht, zwei von
den Novellen wurden zu einem mysteriösen Unsinn
verbessert, und als nach langer Mühe die Ausgabe voll-
endet war, zeigte es sich, daß den Herren eine der
heitersten Geschichten durch die Finger geschlüp
war, und jenes Dekameron hatte statt hundert nur neun-
undneunzig Novellen. Außerdem ist das Buch häufige
Male »für die Jugend« ediert worden und wird es in
Italien »per giovani modesti« heute noch.
Besonders schlimm erging es ihm mehr als hundert
Jahre nach seines Verfassers Tod, zur Zeit des wohlbe-
kannten oder übelbekannten Savonarola. Dieser wü-
tende und vermutlich geisteskranke Mönch, welcher
nach Kräen dazu beitrug, Florenz und Italien dem
Untergang näher zu bringen, hat außer einer Menge
von anderen schönen Dingen auch sehr viele Exem-
plare des Dekameron öffentlich verbrennen lassen.
Wo jedoch eine kräige Quelle aus der Erde gebro-
chen ist, hat das Verbauen und das Exorzieren niemals
viel geholfen, und es ist schwerer, etwas geistig Leben-
diges zu ertöten, als etwas Totes wieder zum Leben zu
bringen. So hat denn auch Boccaccio manche Zeit-
genossen und Nachfolger gehabt, deren erloschenen
Ruhm die Gelehrten mit unsäglichen Mühen bis auf
heute herüber geschleppt haben, indessen er selber in-
mitten aller Keulenschläge am Leben blieb und heute
noch den gleichen Glanz und Zauber hat wie seinerzeit.
Indem ich dieses schreibe, träumt mir von einem Zy-
pressenbaum am Hügelabhang zwischen Vincigliata
und Settignano, wo ich vor Zeiten zum erstenmal, im
Grase liegend, das köstliche Buch genoß. Es lief ein
lauer Wind talab, mit Blütendu von Limonen und
Mandeln beladen, es lag ein süßes Licht über Florenz
und allen Bergen, und es sang aus einem fernen Garten
eine welsche Laute herüber, allein ich sah es nicht und
hörte es nicht; ein süßerer Du und ein viel köstlicherer
Klang stieg mir aus den gelben Blättern des alten Bu-
ches zu Häupten.
Das Buch Dekameron ist auf eine solche Art einge-
richtet, daß seine hundert Novellen an zehn Ta-
gen von zehn jungen und edlen Leuten erzählt werden,
und darunter sind sieben Mädchen und drei Jünglinge.
Auf diese Weise kommt daher jede Novelle nicht aus
unbestimmter Ferne, sondern frisch aus dem Munde
eines jungen Erzählenden zu uns her geklungen. Und
überdies ist also diese Zahl von hundert Geschichten
und Schwanken von einer lebendigen Erzählung um-
flochten, hat auch jeder von den zehn Tagen seine
besondere Art und Färbung.
Die Erfindung des Boccaccio ist diese: Zur Zeit des
schwarzen Todes, welcher die Stadt Florenz im Jahre
heimsuchte, waren in dieser Stadt alle früheren
Ordnungen und Gewohnheiten vollkommen aufge-
löst. Es lagen in den Häusern, auf den Treppen und vor
den Türen, ja in allen Gassen da und dort teils Tote, teils
Todkranke umher, und die Gefahr der Ansteckung war
so groß, daß Eltern und Kinder, Brüder und Schwe-
stern einander flohen und die Erkrankten einsam und
ohne Pflege dahinsterben ließen, welche Zustände Herr
Boccaccio im Beginn seines Buches mit der größten
Genauigkeit und Sichtbarkeit uns schildert. Bei solcher
grausamen Verwirrung und Schrecknis trafen sich ei-
nes Morgens sieben junge Damen in der herrlichen
Kirche Santa Maria Novella, welche zwar damals noch
der berühmten Wandmalereien des Ghirlandajo
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