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Bockmist

Bockmist

Titel: Bockmist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Hugh
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Gesichtskreises liegt noch im Dunkel, ist aber schon orange verschmiert. Die Nacht zieht sich in die Erde zurück, während die Sonne am Horizont nach Halt tastet.
    Die meisten Geiseln schlafen. Im Lauf der Nacht sind sie näher zusammengerückt, weil es kälter geworden ist, als wir alle erwartet haben. Kein Bein lümmelt sich mehr über den Teppichrand.
    Francisco sieht müde aus, als er mir den Hörer hinhält. Er hat die Füße auf eine Ecke von Beamons Schreibtisch gelegt und sieht CNN. Den Ton hat er aus Rücksicht auf den schlafenden Beamon leise gestellt.
    Ich bin natürlich genauso müde, aber im Moment habe ich vielleicht etwas mehr Adrenalin in den Adern. Ich nehme den Hörer entgegen.
    »Ja?«
    Statische Knacksgeräusche. Dann Barnes.
    »Ihr Weckdienst. Halb sechs«, sagt er mit einem Lächeln in der Stimme.
    »Was wollen Sie?« Im selben Moment merke ich, daß ich mit englischem Akzent spreche. Ich werfe einen Blick auf Francisco, aber dem ist es offenbar entgangen. Also schaue ich wieder aus dem Fenster und höre Barnes einige Zeit zu. Als er fertig ist, hole ich tief Luft, im selben Moment zuversichtlich und völlig gleichgültig.
    »Wann?«, frage ich.
    Barnes lacht. Ich lache auch, ohne eindeutigen Akzent.
    »In fünfzig Minuten«, sagt er und legt auf.
    Als ich mich vom Fenster abwende, werde ich von Francisco beobachtet. Seine Wimpern wirken länger als je zuvor.
    Sarah wartet auf mich.
    »Sie bringen das Frühstück«, sage ich und achte diesmal auf minnesotisch gedehnte Vokale.
    Francisco nickt.
    Die Sonne wird bald hochkrabbeln, sich Schritt für Schritt am Fenstersims emporziehen. Ich verlasse die Geiseln, Beamon und Francisco, der vor CNN einnickt. Ich lasse das Büro hinter mir und nehme den Fahrstuhl zum Dach.
    Drei Minuten später, siebenundvierzig bleiben noch, ist alles bereit. Ich laufe die Treppe zum Foyer runter.
    Leerer Korridor, leeres Treppenhaus, leerer Magen. Mir rauscht das Blut in den Ohren, viel lauter als das Geräusch meiner Schuhe auf dem Teppich. Auf dem Absatz vor dem ersten Stock bleibe ich stehen und sehe auf die Straße. Ganz schön viel Kommen und Gehen für diese Tageszeit.
     
    Ich hatte an die Zukunft gedacht und deswegen die Gegenwart vergessen. Die Gegenwart ist nicht geschehen und geschieht nicht, es gibt nur die Zukunft. Leben und Tod. Leben oder Tod. Sehen Sie, das sind die großen Fragen. Viel größer als Schritte. Schritte sind Kleinigkeiten, verglichen mit dem Vergessen.
    Ich war eine halbe Treppe weitergegangen und wollte auf den Treppenabsatz treten, als ich sie endlich hörte und merkte, daß etwas nicht stimmte – es waren Laufschritte, und in diesem Haus hatte niemand zu laufen. Noch nicht. Nicht solange uns noch sechsundvierzig Minuten blieben.
    Benjamin kam um die Ecke und blieb stehen.
    »Was ist denn los, Benj?«, fragte ich, so cool ich konnte.
    Er starrte mich einen Augenblick an. Atmete schwer.
    »Scheiße, Mann, wo hast du gesteckt?«, fragte er.
    Ich runzelte die Stirn.
    »Auf dem Dach«, sagte ich. »Ich hab’ …«
    »Latifa ist auf dem Dach«, schnauzte er mich an.
    Wir standen uns Aug’ in Aug’ gegenüber. Er atmete keuchend durch den Mund, teils vor Anstrengung, teils vor Wut.
    »Nicht mehr, Benj, ich hab’ sie nämlich ins Foyer geschickt. Das Frühstück kommt …«
    Plötzlich legte Benjamin mit einer zornigen Bewegung die Steyr an die Schulter, die rechte Wange an den Schaft, und seine Fäuste ballten sich um die Griffstöcke.
    Und der MP-Lauf war verschwunden.
    Wie ist denn das möglich? fragte ich mich. Wie kann denn der Lauf einer Steyr – 420 mm lang, sechs Züge, Rechtsdrall –, wie kann der denn einfach so verschwinden?
    Er konnte natürlich nicht verschwinden, und er war auch nicht verschwunden.
    Alles eine Frage der Perspektive.
    »Du gottverfluchtes Arschloch«, sagt Benjamin.
    Ich stehe da und starre in ein schwarzes Loch.
    Noch fünfundvierzig Minuten; so ziemlich der schlechteste Augenblick, den sich Benjamin aussuchen kann, um ein so großes, breites und vielköpfiges Thema wie Verrat anzuschneiden. Höflich – hoffe ich jedenfalls – schlage ich ihm vor, diese Diskussion zu verschieben; aber Benjamin findet, jetzt sei der ideale Moment.
    »Du gottverfluchtes Arschloch«, sind seine Worte dafür.
    Teilweise liegt das Problem darin, daß Benjamin mir noch nie über den Weg getraut hat. Das ist vielleicht sogar der springende Punkt. Benjamin war vom ersten Moment an mißtrauisch, und er möchte mir jetzt haarklein

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