Bockmist
Latifa mußte rangegangen sein.
»Lat, halt die Augen offen«, sagte Francisco. »Wenn du was Auffälliges siehst oder hörst, ruf mich sofort an.«
Aufgebracht knallte er den Hörer auf die Gabel.
Deine Abgebrühtheit war immer nur Pose, dachte ich.
Ab sechzehn Uhr klingelte das Telefon am laufenden Band; alle fünf Minuten riefen Marokkaner oder Amerikaner an und wollten nie den sprechen, der abgehoben hatte.
Francisco fand, es sei Zeit, die Teams zu wechseln, also rief er Cyrus und Benjamin in den ersten Stock und schickte mich zu Latifa runter.
Sie stand mitten im Foyer, spähte durch die Fenster, hüpfte von einem Bein aufs andere und ließ die kleine Uzi von einer Hand in die andere wandern.
»Was ist los?«, fragte ich. »Mußt du aufs Klo?«
Sie sah mich an und nickte, und ich meinte, dann solle sie gefälligst abzischen und sich nicht so anstellen.
»Die Sonne geht unter«, sagte Latifa eine halbe Zigarettenpackung später.
Ich sah auf die Uhr, dann durch die nach hinten hinausgehenden Fenster, und voilà: die sinkende Sonne und die steigende Nacht.
»Yeah«, sagte ich.
Latifa richtete sich die Haare und kontrollierte ihr Aussehen in der Glasscheibe am Empfang.
»Ich geh’ mal raus«, sagte ich.
Sie fuhr erschrocken herum.
»Was? Spinnst du?«
»Will mich bloß mal umsehen, das ist alles.«
»Was willste dir denn ansehen?«, fragte Latifa. Ich merkte, daß sie sauer auf mich war, als wollte ich sie endgültig im Stich lassen. »Bernhard ist auf dem Dach und sieht mehr als jeder andere. Was hast du da draußen zu suchen?«
Ich pfiff durch die Zähne und sah wieder auf die Uhr.
»Der Baum da stört mich«, sagte ich.
»Du willst dir einen beschissenen Baum ansehen?«, fragte Latifa.
»Die Zweige reichen über die Mauer. Das paßt mir nicht.«
Sie trat neben mich und sah aus dem Fenster. Der Rasensprenger lief noch.
»Welcher Baum?«
»Der da drüben«, sagte ich. »Die Andentanne.«
Siebzehn Uhr zehn.
Die Sonne hatte ihren Untergang halb hinter sich.
Latifa saß am Fuß der großen Treppe, scharrte mit dem Stiefel über den Marmorboden und spielte an der Uzi herum.
Ich sah sie an und dachte natürlich an unseren Sex – aber auch an gemeinsames Lachen, Enttäuschungen und Spaghetti. Latifa konnte einen manchmal verrückt machen. Sie war total verkorkst und in jeder Hinsicht hoffnungslos. Aber sie hatte auch Klasse.
»Wird schon alles gutgehen«, meinte ich.
Sie hob den Kopf und erwiderte meinen Blick.
Ich fragte mich, ob sie wohl an dieselben Dinge dachte.
»Hat vielleicht wer was anderes behauptet?«, blaffte sie, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und zog eine Strähne vors Gesicht, um mich auszusperren.
Ich lachte.
»Ricky«, rief Cyrus und beugte sich im ersten Stock über das Treppengeländer.
»Was denn?«, fragte ich.
»Komm rauf. Cisco will was von dir.«
Die Geiseln hatten sich auf den Teppich gelegt, Köpfe in Schößen oder Rücken an Rücken. Die Zügel schleiften so weit, daß die ersten es wagten, die Beine über den Teppichrand auszustrecken. Drei oder vier sangen leise und halbherzig »Swanee River«.
»Was ist?«, fragte ich.
Francisco deutete auf Beamon, der mir den Telefonhörer hinhielt. Ich runzelte die Stirn und winkte ab, als könnte nur meine Frau dran sein, obwohl ich in einer halben Stunde zu Hause wäre. Aber Beamon hielt ihn mir trotzdem hin.
»Sie wissen, daß Sie Amerikaner sind«, sagte er.
Ich zuckte mit den Schultern. Na und?
»Red mit ihnen, Ricky«, sagte Francisco. »Ist doch nichts dabei.«
Ich zuckte wieder mit den Schultern, unwirsch, meine Güte, was für ‘ne Zeitverschwendung, und schlenderte an den Tisch. Beamon funkelte mich an, als ich den Hörer entgegennahm.
»Ein gottverfluchter Amerikaner«, zischte er.
»Leck mich«, sagte ich und hielt den Hörer ans Ohr. »Ja?«
Klicken, Summen, noch ein Klicken.
»Lang«, sagte eine Stimme.
Sieh mal einer an, dachte ich.
»Yeah«, sagte Ricky.
»Wie geht’s denn so?«
Es war Russell P. Barnes’ Stimme, das Arschloch vom Dienst, und seiner schulterklopfenden Zuversicht konnten auch die atmosphärischen Störungen nichts anhaben.
»Scheiße, was wolln Sie?«, fragte Ricky.
»Ein Winken, Thomas«, sagte Barnes.
Ich sah Francisco an, deutete auf sein Fernglas, und er reichte es mir über den Tisch. Ich trat ans Fenster.
»Wie wär’s, wenn Sie mal nach links schauen?«, sagte Barnes.
Lust dazu hatte ich nicht gerade.
An der Straßenecke stand eine
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