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Bockmist

Bockmist

Titel: Bockmist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Hugh
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vier Jahren.«
    »Oh, das tut mir leid.« Diese Frau war mir ein Rätsel. Wie konnte sie bloß in diesem Schlamassel noch höflich sein?
    »Nicht so schlimm«, meinte ich. »Sie war achtundsechzig.«
    Sarah lehnte sich an mich, und ich merkte, daß ich ganz leise gesprochen hatte. Ich weiß nicht genau, warum. Vielleicht aus Rücksicht auf ihre Trauer, vielleicht wollte ich mit meiner lauten Stimme auch nur das bißchen Beherrschung nicht durchlöchern, das sie sich aufgebaut hatte.
    »Haben Sie eine Lieblingserinnerung an Ihre Mutter?«
    Das war keine traurige Frage. Sie klang wirklich neugierig, als wollte sie eine schöne Kindheitsgeschichte von mir hören.
    »Lieblingserinnerung.« Ich überlegte einen Augenblick. »Jeden Abend zwischen sieben und acht.«
    »Was war da?«
    »Dann trank sie einen Gin Tonic. Punkt sieben. Nur einen. Und eine Stunde lang war sie die glücklichste und fröhlichste Frau, die ich je gesehen habe.«
    »Und danach?«
    »Traurig«, sagte ich. »Anders kann man das nicht sagen. Meine Mutter war eine sehr traurige Frau. Sie war traurig wegen meines Vaters und wegen sich selbst. Wäre ich ihr Hausarzt gewesen, ich hätte ihr täglich sechs Gin Tonics verordnet.« Einen Augenblick dachte ich, ich müßte weinen. Aber es verging wieder. »Und bei Ihnen?«
    Sie mußte nicht lange überlegen, aber sie wartete trotzdem, ging es in Gedanken durch und lächelte.
    »Ich habe keine glücklichen Erinnerungen an meine Mutter. Als ich zwölf war, hat sie angefangen, ihren Tennislehrer zu vögeln, und im nächsten Sommer war sie verschwunden. Das Beste, was uns überhaupt passieren konnte. Mein Vater«, sie schloß die Augen, weil die Erinnerung noch so lebendig war, »hat meinem Bruder und mir Schach beigebracht. Als wir acht oder neun waren. Michael war gut und hat unheimlich schnell begriffen. Ich war auch nicht schlecht, aber Michael war viel besser. Aber solange wir lernten, hat mein Vater immer ohne Dame gespielt. Er hat immer schwarz gespielt und immer ohne Dame. Auch als Michael und ich besser und besser wurden, hat sich das nie geändert. Sogar als Michael ihn in zehn Zügen mattsetzen konnte, hat er noch ohne Dame gespielt. Irgendwann hätte auch Michael auf seine Dame verzichten können und hätte trotzdem noch gewonnen. Aber mein Dad machte einfach so weiter, verlor ein Spiel nach dem anderen und spielte nie mit einem vollen Figurensatz.«
    Sie lachte vergnügt, legte sich rücklings ins Gras und stützte sich auf die Ellbogen.
    »Zu Dads fünfzigstem Geburtstag hat Michael ihm eine schwarze Dame in einem Holzkästchen geschenkt. Er weinte. Komisches Gefühl, wenn man seinen eigenen Vater weinen sieht. Aber ich glaube, wenn er sah, wie wir lernten und stärker wurden, hat er sich einfach so wahnsinnig gefreut, daß er dieses Gefühl nicht verlieren wollte. Er wollte, daß wir gewinnen.«
    Und dann strömten die Tränen plötzlich in riesigen Wellen, brachen über ihr zusammen und schüttelten ihren zarten Körper durch, bis sie kaum mehr atmen konnte. Ich legte mich neben sie, nahm sie in die Arme und drückte sie, um alles Böse von ihr fernzuhalten.
    »Schon gut«, sagte ich. »Wird ja alles gut.«
     
    Aber es wurde natürlich nicht gut. Nicht mal annähernd.
     

16
     
    Behende schmeicheln ihre ew’gen Lippen
    Und können doch nur frommen Irrtum nippen.
    EDWARD YOUNG
     
    Beim Flug nach Prag wurde Bombenalarm ausgelöst. Es gab keine Bombe, aber jede Menge alarmierte Gesichter.
    Wir richteten uns gerade auf unseren Plätzen ein, als die Stimme des Piloten aus dem Lautsprecher drang und uns anwies, das Flugzeug schleunigst zu verlassen. Nichts von wegen »Meine Damen und Herren, im Namen von British Airways« oder so. Einfach nur: »Machen Sie, daß Sie rauskommen.«
    Wir lungerten in einem fliederfarbenen Saal herum, mit zehn unterzähligen Stühlen, ohne Berieselungsmusik, und man durfte nicht rauchen. Ich rauchte trotzdem. Eine uniformierte Frau mit dickem Makeup wollte es mir untersagen, aber ich erklärte ihr, ich sei Asthmatiker und die Zigarette sei ein Bronchienerweiterungsmittel auf Kräuterbasis, das mir der Arzt verordnet habe. Daraufhin haßten mich alle, die Raucher noch mehr als die Nichtraucher.
    Als wir uns endlich ins Flugzeug zurückschoben, sahen alle unter ihren Sitzen nach, weil sie befürchteten, der Spürhund könnte ausgerechnet an diesem Tag Schnupfen gehabt haben, und irgendwo stünde die kleine schwarze Reisetasche, die von allen Durchsuchungsbeamten übersehen

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