Bockmist
worden war.
Es gab mal einen Mann, der zum Psychiater ging, weil seine Flugangst ihn buchstäblich bewegungsunfähig machte. Seine Phobie basierte darauf, daß sich seiner Meinung nach in jedem Flugzeug, das er bestieg, eine Bombe befand. Der Psychiater versuchte, diese Phobie zu kurieren, aber weil ihm das nicht gelang, schickte er seinen Patienten zu einem Statistiker. Dieser gab ein paar Zahlen in einen Taschenrechner ein und eröffnete dem Mann, die Chancen, daß sich bei seinem nächsten Flug eine Bombe an Bord befinde, stehe eine halbe Million zu eins dagegen. Das machte den Mann auch nicht glücklicher, denn er blieb der felsenfesten Überzeugung, er würde genau dieses eine von fünfhunderttausend Flugzeugen erwischen. Also zog der Statistiker erneut seinen Rechner zu Rate und fragte dann: »Na gut, würden Sie sich denn besser fühlen, wenn die Chancen zehn Millionen zu eins dagegen stünden?« Der Mann meinte, ja, natürlich. Daraufhin sagte der Statistiker: »Die Chancen, daß sich an Bord Ihres nächsten Flugzeugs zwei Bomben befinden, die nichts miteinander zu tun haben, stehen genau zehn Millionen zu eins dagegen.« Der Mann war verwirrt und fragte: »Das ist ja schön und gut, aber inwiefern hilft mir das weiter?« Der Statistiker antwortete: »Ganz einfach. Nehmen Sie eine Bombe mit an Bord.«
Das erzählte ich einem Geschäftsmann aus Leicester, der in seinem grauen Anzug neben mir saß, aber er fand das gar nicht komisch. Statt dessen rief er eine Stewardess und sagte, er fürchtete, ich hätte eine Bombe im Gepäck. Ich mußte der Stewardess die Geschichte noch einmal erzählen und schließlich auch noch dem Kopiloten, der nach hinten kam und sich mit bösem Gesicht neben mich hockte.
Ich werde mich hüten, in Zukunft noch mal Konversation zu machen.
Vielleicht hatte ich es falsch eingeschätzt, wie Flugpassagiere auf Bombendrohungen reagieren. Kann schon sein. Plausibler ist allerdings die Erklärung, daß ich der einzige Mensch an Bord war, der wußte, woher der falsche Alarm stammte und was er bedeutete.
Er war der tapsige Eröffnungszug der Operation Ballast.
Der Prager Flughafen ist etwas kleiner als das Schild FLUGHAFEN PRAG vor dem Terminal. Angesichts der kolossalen, stalinistischen Ausmaße des Schilds fragte ich mich, ob es womöglich vor Einführung der Funknavigation aufgestellt worden war, damit die Piloten es schon vom Atlantik aus erkennen konnten.
Drinnen dann – na ja: Ein Flughafen ist ein Flughafen ist ein Flughafen. Egal auf welchem Flughafen der Welt man sich befindet, gibt es Steinböden für die Kofferkulis, gibt es Kofferkulis und gibt es Vitrinen mit Krokodilledergürteln, die auch in tausend Jahren Zivilisation niemand kaufen wird.
Daß Tschechien dem sowjetischen Rachen entronnen war, war den Beamten der Einwanderungsbehörde noch unbekannt. Sie saßen in ihren Glaskästen, und mit jedem angewiderten Augenaufschlag vom Paßfoto zum dekadenten Imperialisten vor ihnen fochten sie den kalten Krieg noch einmal aus. Ich war der Imperialist, und ich hatte den Fehler begangen, ein Hawaiihemd anzuziehen, das meine Dekadenz wahrscheinlich noch betonte. Nächstes Mal weiß ich’s besser. Aber vor dem nächsten Mal findet vielleicht auch jemand den Schlüssel zu den Glaskästen und erklärt den armen Saftsäcken, daß sie sich den kulturellen und ökonomischen Stellraum jetzt mit Euro-Disney teilen. Ich beschloß, den tschechischen Ausdruck für »Du fehlst mir so« zu lernen.
Ich tauschte etwas Geld und verließ das Flughafengebäude, um mir ein Taxi zu rufen. Der Abend war kühl, und die großen, stalinistischen Pfützen auf dem Parkplatz, die die neuen blauen und grauen Neonreklamen am Himmel widerspiegelten, ließen ihn noch kühler wirken. Als ich um die Ecke des Terminals bog, sprang mich der Wind zur Begrüßung an, leckte mir mit nach Diesel riechendem Regen das Gesicht, hüpfte mir dann ausgelassen um die Schienbeine und zerrte an meinen Hosen. Ich blieb einen Augenblick lang stehen, ließ die Fremdheit des Ortes auf mich wirken und wußte nur zu gut, daß ich in jeder Hinsicht vom Regen in die Traufe gekommen war.
Zu guter Letzt fand ich ein Taxi und erklärte dem Fahrer in fließendem Englisch, daß ich zum Wenzelsplatz wolle. Diese Bitte klingt, wie ich inzwischen weiß, genauso wie die tschechische Wendung für »Ich bin ein schwachköpfiger Tourist, bitte nehmen Sie mein ganzes Geld.« Das Taxi war ein Tatra und der Fahrer ein Arschloch; er fuhr schnell
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