Bodenlose Tiefe
werden vielleicht zu dem Schluss kommen, dass ich Ihnen sehr von Nutzen sein kann.«
»Gehen Sie.«
Zögernd stand er auf. »Ich komme wieder. Bis dahin werde ich dafür sorgen, dass die Küstenwache die Suche nach Lontana fortsetzt.«
»Danke.«
»Gern geschehen. Soll ich die Schwester bitten, Ihnen ein Beruhigungsmittel zu verabreichen?«
»Keine Medikamente! Ich nehme keine –«
»In Ordnung. Wie Sie wünschen.«
Sie sah zu, wie die Tür sich hinter ihm schloss. Er war sehr liebenswürdig gewesen, manch einer würde ihn sogar als nett bezeichnen. Sie war zu benommen und verwirrt, um sich ein klares Bild von ihm zu machen.
Sie hatte nur seine ruhige, selbstbewusste Art und seine körperliche Stärke wahrgenommen – und das irritierte sie.
Nicht an ihn denken.
Und versuchen, nicht an Phil zu denken. Vierundzwanzig Stunden waren eine lange Zeit, aber er konnte immer noch am Leben sein.
Falls er sich eine Schwimmweste geschnappt hatte.
Falls er nicht bei der Explosion ums Leben gekommen war.
Gott, sie wünschte, sie könnte weinen.
»Dürfen Sie schon aufstehen?«, fragte Gary besorgt, als er sie am nächsten Morgen in dem Sessel am Fenster sitzen sah. »Die Schwester hat mir erzählt, dass Sie erst gestern Abend zu sich gekommen sind.«
»Es geht mir gut. Und ich will ihnen demonstrieren, dass ich nicht länger hier liegen muss.« Ihre Hände umklammerten die Sessellehnen. »Sie wollen, dass ich noch bleibe und mit der Polizei rede.«
»Ja, meine Aussage haben sie auch schon aufgenommen. Die werden Sie nicht bedrängen.«
»Das tun sie jetzt schon. Die Polizisten kommen erst heute am späten Nachmittag und so lange will ich nicht warten. Aber das Krankenhaus deckt mich mit einem derartigen Papierkrieg ein, dass ich mich nicht von hier wegbewegen kann. Ich bin überzeugt, dass das nur ein Vorwand ist. Die wollen mich am liebsten bis morgen früh hier behalten.«
»Die Ärzte werden schon wissen, was das Beste für Sie ist.«
»Von wegen. Ich muss an die Stelle, wo das Schiff gesunken ist. Ich muss Phil finden.«
»Melis …« Gary zögerte, dann sagte er sanft: »Ich bin mit der Küstenwache da draußen gewesen. Sie werden Phil nicht finden.
Wir haben ihn verloren.«
»Das will ich nicht hören. Ich muss mich selbst davon überzeugen.« Ihr Blick wanderte zu den gepflegten Rasenflächen vor dem Fenster. »Was hat Kelby hier gemacht?«
»Das Krankenhaus auf den Kopf gestellt. Die wollten noch nicht mal mich zu Ihnen lassen, aber Kelby hatte offenbar keine Probleme hineinzugelangen. Und bevor er hierher gekommen ist, war er mit der Küstenwache draußen, um nach Ihrem Vater zu suchen. Sie kennen ihn nicht, oder?«
»Ich bin ihm noch nie begegnet. Aber Phil hat mir gesagt, er hätte in letzter Zeit mehrmals versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Wissen Sie, warum?«
Gary schüttelte den Kopf. »Vielleicht weiß Cal was darüber.«
Das bezweifelte Melis. Was auch immer Phil von Kelby gewollt haben mochte, es hatte sicherlich mit dem tödlichen Szenario zu tun, bei dem er ums Leben gekommen war. Und es ging um irgendetwas, über das er nicht einmal mit seinen engsten Freunden sprechen wollte.
Großer Gott, sie setzte in Gedanken schon voraus, dass er tot war. Sie akzeptierte widerspruchslos, was man ihr erzählt hatte.
Das durfte nicht sein. »Suchen Sie Kelby, Gary. Sagen Sie ihm, er soll mich hier rausholen.«
»Wie bitte?«
»Sie sagten doch, er hätte Einfluss. Bitten Sie ihn, seinen Einfluss geltend zu machen. Ich bin sicher, Sie werden auf keine Schwierigkeiten stoßen. Er ist hergekommen, weil er etwas von mir will, und solange ich im Krankenhaus bin, kann er nichts von mir kriegen. Also ist er bestimmt daran interessiert, dass ich so bald wie möglich hier rauskomme.«
»Selbst wenn es nicht gut für Sie ist?«
Sie erinnerte sich daran, dass sie Kelby als knallhart empfunden hatte. »Das ist ihm garantiert egal. Sagen Sie ihm, er soll mich hier rausholen.«
»In Ordnung.« Gary verzog das Gesicht. »Obwohl ich immer noch der Meinung bin, dass Sie es nicht tun sollten. Phil hätte es bestimmt nicht gutgeheißen.«
»Phil hat mich immer tun lassen, was ich wollte, das wissen Sie doch. Für ihn war das viel bequemer so.«
Sie schluckte. »Also bitte streiten Sie sich nicht mit mir, Gary.
Ich bin heute emotional ziemlich angeschlagen.«
»Sie machen das ganz wunderbar. Wie immer.« Eilig verließ er das Zimmer.
Armer Gary. Er war es nicht gewöhnt, sie so aufgelöst zu erleben,
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