Bodenlose Tiefe
und es mit anzusehen irritierte ihn. Sie selbst irritierte es ebenfalls. Sie konnte es nicht ausstehen, sich so ausgeliefert zu fühlen.
Nein, sie war nicht ausgeliefert. Es gab immer irgendetwas, was sie tun konnte, einen anderen Weg, den sie einschlagen konnte. Sie war einfach nur traurig und wütend und verzweifelt.
Aber nicht hilflos ausgeliefert.
Im Augenblick hatte sie nur noch keine klare Vorstellung, welchen Weg sie einschlagen sollte.
Aber bald musste sie eine Entscheidung treffen. Kelby wartete auf seine Chance und sie war gezwungen, ihm ein Stück weit entgegenzukommen. Er würde ihre vorübergehende Schwäche nutzen, um seine Position zu stärken.
Sie lehnte sich im Sessel zurück und versuchte sich zu entspannen. Am besten, sie ruhte sich aus und sammelte ihre Kräfte, solange sie noch Gelegenheit dazu hatte. Sie würde all ihre Energie brauchen, um sich diesen Kelby vom Hals zu halten.
Kelby grinste, als er Melis Nemid auf den Hauptausgang zukommen sah. Eine missmutig dreinblickende Nonne schob den Rollstuhl hinter ihr her, in dem sie eigentlich hätte sitzen sollen.
Einen Augenblick lang musste er daran denken, wie zerbrechlich Melis ihm erschienen war, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Die aufreizende Aura der Empfindsamkeit umgab sie immer noch, wurde jedoch ausgeglichen durch die Kraft und Vitalität ihrer Bewegungen. Seit sie die Augen geöffnet hatte, wusste er, dass mit ihr nicht gut Kirschen essen sein würde. Wie war ein Träumer wie Lontana an eine solche Frau geraten? Aber vielleicht hatte sie ja ihn gefunden. Das hielt er für wesentlich wahrscheinlicher.
Sie blieb direkt vor ihm stehen. »Ich sollte mich wohl bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie alle bürokratischen Hürden für mich aus dem Weg geräumt haben, damit ich das Krankenhaus verlassen kann.«
»Das hier ist kein Gefängnis, Ms Nemid«, bemerkte die Nonne spitz. »Wir mussten uns nur vergewissern, dass Sie in guter Obhut sind. Und Sie hätten sich an die Krankenhausregeln halten und sich im Rollstuhl zum Ausgang fahren lassen sollen.«
»Danke, Schwester. Ab hier werde ich gut auf sie aufpassen.«
Kelby nahm Melis’ Arm und bugsierte sie sanft in Richtung Ausgang. »Sie haben heute Abend einen Termin bei der Polizei, um Ihre Aussage zu Protokoll zu geben«, sagte er zu Melis. »Ich habe den Papierkram hier für Sie erledigt und Ihr Medikament abgeholt.«
»Was für ein Medikament?«
»Nur ein Beruhigungsmittel für alle Fälle.«
»Das brauche ich nicht.« Sie riss sich von ihm los. »Und Sie können mir die Rechnung schicken.«
»In Ordnung. Ich bin immer für einen offenen Schlagabtausch.« Er öffnete die Beifahrertür des Wagens, den er vor dem Krankenhaus geparkt hatte. »Ich werde Wilson bitten, Ihnen die Rechnung zum Ersten des Monats zuzuschicken.«
»Wer ist Wilson? Ihr Butler?«
»Mein Assistent. Er sorgt dafür, dass ich immer flüssig bin.«
»Dann wird er sich ja nicht überarbeiten.«
»Sie würden sich wundern. Manche meiner Unternehmungen sind ziemlich umfangreich und gehen an die Substanz meines Vermögens. Steigen Sie ein.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich gehe zur Küstenwache.«
»Das würde Ihnen nichts nützen. Die haben die Suche eingestellt.«
Sie erstarrte. »Jetzt schon?«
»Es sind ein paar Fragen aufgetaucht bezüglich Lontanas Geisteszustand.« Er schaute sie an. »Es war kein Unfall. Unter den Schiffstrümmern wurden Reste von Plastiksprengstoff und eines Zeitzünders gefunden. Halten Sie es für möglich, dass er sein Boot selbst in die Luft gesprengt hat?«
Ihre Augen weiteten sich. »Wie bitte?«
»Sie müssen zugeben, dass die Möglichkeit besteht.«
»Ich muss überhaupt nichts und die Möglichkeit besteht keinesfalls. Phil war irritiert, als der Motor plötzlich streikte. Er ist unter Deck gegangen, um nachzusehen, was los war.«
»Das hat Gary den Leuten von der Küstenwache auch erzählt, aber Lontana hat nichts gesagt, was eindeutig eine Selbstmordabsicht ausschließen würde.«
»Das ist mir egal. Phil hat das Leben geliebt. Er war wie ein Kind und immer auf ein neues Abenteuer aus.«
»Ich fürchte, dass dies sein letztes Abenteuer war. Es bestand von Anfang an keine große Hoffnung, dass er überlebt haben könnte.«
»Hoffnung gibt es immer.« Sie wandte sich zum Gehen.
»Phil hat eine Chance verdient.«
»Die will ihm niemand verweigern. Ich sage Ihnen nur, was –
Wo wollen Sie hin?«
»Ich muss mir selbst ein Bild machen. Ich werde mir am Kai
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