Bodenlose Tiefe
sind tot. Sie würden nicht wollen, dass Sie sich so quälen. Geben Sie mir die Unterlagen.«
»Nein.«
»Aber Ihr Nein klingt immer mehr wie ein Ja. Ich höre erste Anzeichen von Verzweiflung.«
»Es ist mir egal, was Sie hören.« Sie tat so, als würde ihr die Stimme versagen. »Es ist mir egal … Lassen Sie mich in Ruhe.«
»Oh, das werde ich. Denn Sie brauchen Zeit, um über das nachzudenken, was ich gesagt habe. Ich melde mich heute Abend wieder. Dann werden wir uns mit Band Nummer eins beschäftigen. Da berichten Sie von Ihrem ersten Tag im Harem.
Sie waren völlig verwirrt und konnten gar nicht verstehen, was mit Ihnen geschah. Die Erinnerungen daran waren noch ganz frisch und schmerzhaft. Wissen Sie noch?« Er legte auf.
Sie erinnerte sich sehr gut an den Schmerz. Aber aus irgendeinem Grund war sie viel weniger mitgenommen als nach Archers ersten Anrufen. Sie hatte immer behauptet, sie wäre nicht mehr dieses kleine Mädchen, aber vielleicht hatte sie das selbst nicht geglaubt. Vielleicht hatte Archer sie gegen den Schmerz immunisiert, indem er angefangen hatte, sie mit dem Schmutz aus ihrer Vergangenheit zu überschütten. Wie enttäuscht er sein würde, wenn das stimmte.
»Sie fühlen sich sehr wohl.« Rosa Valdez stand plötzlich neben ihr. »Das Weibchen hat sich heute Morgen sogar von mir streicheln lassen.«
»Sie ist sehr zutraulich.« Melis steckte ihr Handy ein und versuchte, den Gedanken an Archer zu verdrängen.
Sie wollte sich nicht mehr als unbedingt nötig von dem Scheißkerl irritieren lassen. Schließlich wartete Arbeit auf sie.
»Ist irgendjemand hier am Becken gewesen, seit wir die Delphine hergebracht haben?«
»Niemand außer mir und den anderen Studenten.«
Rosa runzelte die Stirn. »Ich habe allen gesagt, dass Sie das so angeordnet haben. Stimmt irgendwas nicht?«
»Nein, ich wollte es nur wissen.« Melis warf einen Blick ins Wasser. »Haben Sie den Delphinen ihre Spielsachen gegeben?«
»Ja. Seitdem scheinen sie sich wohler zu fühlen. Trägt Susie diese Plastikboa immer um den Hals? Sie wirkt richtig kokett.«
»Sie ist sehr feminin. Ich habe beobachtet, wie sie das mit einem Stück Seetang gemacht hat, und daraufhin habe ich ihr die Boa besorgt.« Aber offenbar hatte Pete nicht auf seine übliche Weise mit der Plastikboje gespielt, sonst hätte Rosa bestimmt eine Bemerkung dazu gemacht. »Ich dachte mir, dass die Spielsachen sie beruhigen würden. In dem kleinen Becken würden sie sich sonst zu schnell langweilen. Das ist –«
»O mein Gott!«, rief Rosa mit geweiteten Augen aus und schaute zu Pete hinüber. »Was macht der denn da?«
»Genau das, was Sie sehen. Er schwimmt gern mit der Boje herum.«
»Aber sie sitzt auf seinem Penis.«
»Ja, das macht er manchmal stundenlang.« Grinsend fügte sie hinzu: »Wahrscheinlich findet er, dass es sich ziemlich gut anfühlt.«
»Ja, wahrscheinlich«, sagte Rosa leise, ohne ihren Blick von Pete abzuwenden. »Das muss ich unbedingt in unserem Tagebuch festhalten.«
»Das Schiff ist schnell, es hat sechs Mann Besatzung und ist mit schweren Waffen ausgerüstet«, sagte Pennig. »Wird schwierig sein, es zu kapern, wenn sie erst mal auf hoher See sind.«
»Schwierig ist nicht unmöglich. Wie bald wird die Trina auslaufen?«, fragte Archer.
»In ein oder zwei Tagen. Sie warten noch auf irgendeine Maschine.«
»Ein oder zwei Tage«, wiederholte Archer. Also blieb ihm nicht viel Zeit, um Melis zu bearbeiten. Aber vielleicht würde es reichen. Bei seinem letzten Gespräch mit ihr hatte er gespürt, dass ihr Widerstand allmählich nachließ. Die Vorstellung, sie anzurufen, wenn sie mit Kelby auf hoher See war, gefiel ihm nicht. Sie würde sich freier und sicherer fühlen in der Abgeschiedenheit auf dem Schiff mit ihm.
Sollte er den Druck erhöhen, indem er sie häufiger anrief?
Vielleicht.
Aber es widerstrebte ihm, den Rhythmus zu ändern. Er stellte sich vor, wie sie auf seine Anrufe wartete, wie sie sich vor dem Augenblick fürchtete, wenn das Telefon wieder klingelte.
»Al Hakim hat gestern Abend angerufen, nicht wahr?«, fragte Pennig vorsichtig. »Wird er schon ungeduldig?«
»Wollen Sie damit etwa andeuten, dass ich die Situation nicht im Griff habe?«
»Nein, natürlich nicht«, erwiderte Pennig hastig. »Ich habe mich bloß gewundert.«
Al Hakim wurde tatsächlich langsam ungeduldig. Und dass dieser Terrorist ein paar von seinen Leuten losschickte, um die Lage zu sondieren, oder dass sie die Sache am Ende
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