Bodenrausch
die Flut kommt, und dies geschieht in letzter Zeit immer häufiger. Land gilt hier ebenfalls als Gemeineigentum, nur 6 Prozent des Bodens haben einen eingetragenen Besitzer.
Die gegenwärtige Versorgungslage in Kenia ist besorgniserregend, besonders bei Kleinbauern, Hirten und städtischen Haushalten, das stellte der Food Security Outlook der FAO 2009 fest. Nicht zuletzt auch wegen des Bürgerkriegs 2007, der 1000 Tote hinterließ und 350000 von ihrem Land vertriebene Bauern.
Derzeit kann das Land sich nicht selbst versorgen, es ist auf Importe angewiesen. Bei Weizen müssen 60 Prozent und bei Reis 80 Prozent eingeführt werden. Das belastet den Staatshaushalt zusehends. Von 2003 bis 2008 haben sich die jährlichen Ausgaben für Weizenimporte um 218 Prozent erhöht und die für Reis verdoppelt. 59
Hinzu kommt, dass die Bevölkerung im Jahr um fast 3 Prozent wächst. Bis 2036 könnte sich die Einwohnerzahl Kenias auf 80 Millionen verdoppeln. 60
Aber das fruchtbare Land wird sich nicht vermehren, es macht nur ein Fünftel der Fläche Kenias aus. Weil die kleinen Höfe von Generation zu Generation unter den Söhnen weitergegeben und geteilt werden, schmilzt auch diese Hoffnung auf Selbstversorgung dahin.
In dieser prekären Lage setzt die Regierung in Nairobi auf Großinvestoren, die die marode Landwirtschaft nach vorn bringen sollen, wie im Tana River Delta, und nimmt dabei ebenso wie die Nachbarländer die Vertreibung von Kleinbauern und Hirten bewusst in Kauf. Ein Bespiel, das für Schlagzeilen sorgte, liegt am Tana River.
Erdig braun fließt das Wasser an den Landzungen des Deltas vorbei in Richtung Ozean. Fischer lenken ihre Einbäume in den Strom, um die Netze auszuwerfen. Am Ufer weiden Rinder. Sie sind das Kapital der Bauern am Fluss und der Reichtum der Region.
Die Dächer der Hütten ragen hoch auf gegen den Abendhimmel. Hier lebt der Stamm der Orma. Mohamed hält sein Leben lang schon Rinder im Tana River Delta. Er versteht nicht, wie die Regierung in Nairobi auf die Idee kommen konnte, sein Land an den Ölstaat Katar zu verkaufen, von heute auf morgen.
Der Einzige, der sich über den Deal freut, ist der Bürgermeister flussabwärts. In seiner Stadt ist ein neuer Tiefseehafen geplant, 2,5 Milliarden will das Emirat dafür zahlen. 30000 Arbeitsplätze sollen entstehen und viele Touristen kommen, um den Hafen und das Hinterland zu besichtigen. Die Wiesen und Äcker der Orma werden dann zum Garten des Ölstaats. Kartoffeln, Tomaten, Paprika und Lauch, Frischgemüse für Katar. 40000 Hektar vom fruchtbarsten Boden Kenias werden ausgegliedert und für die Orma, die Jahrhunderte am Fluss gelebt haben, nicht mehr zu erreichen sein, erst recht nicht für ihre Rinder.
Vom Deal existieren keine offiziellen Papiere. Dem Volk wurde lediglich beschieden, dass der Inhalt streng vertraulich sei. Der Grund für diese Verschwiegenheit lag in einer Jahrhundertdürre, die zur gleichen Zeit in Kenia wütete und die Regierung zwang, den nationalen Notstand auszurufen. Die Nachricht, dass in einer solchen Lage Land an Katar abgetreten werde, hätte für einen nationalen Aufstand gesorgt. 61
Der Garten Katars ist nicht das einzige Projekt im Tana River Delta. Mumias Sugar Company Ltd., die größte Zuckerfabrik Kenias, streckt ihren langen Arm ebenfalls ins Delta aus, weil sie dort einen idealen Standort für Zuckerrohr ausgemacht hat. 20000 Hektar Boden sind als Zuckerrohrplantage für Agrosprit vorgesehen. Zusätzlich hat die Tana and Athi Rivers Development Authority 40000 Hektar Flächen für Reis und Mais ausgewiesen.
Seither sehen die 30 Dörfer im Delta ihre Lebensgrundlage davonschwimmen. 25000 Menschen droht der Rauswurf aus ihrer Heimat. 2000 Rinderhalter mit 350000 Rindern verlieren ihre Weidegründe. Eine Kosten-Nutzen-Analyse kam zu dem Ergebnis, dass Rinderzüchter, Fischer und Bauern im Delta mit ihrer Arbeit ein Einkommen erzielen, das dreimal höher liegt als das, was das Zuckerrohr einbringen soll. Aber diese Stimmen blieben ungehört.
»Vision 2030« heißt das Konzept, das hinter diesen Blaupausen steht. Es geht darum, das Land bis 2030 »zu einem industrialisierten Staat mit mittlerem Einkommen zu machen, das für alle Einwohner eine hohe Lebensqualität sichert«. Als der Präsident Kenias, Mwai Kibaki, am 11. Juni 2008 diesen Entwicklungsplan verkündete, hatte er darin auch einen Platz für die Landwirtschaft vorgesehen. Unter der Überschrift: »Verbesserte Wertschöpfung in der
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