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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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einen vermeintlichen Sohn hat, freut man sich über eine echte Tochter oder eine Schwiegertochter. Ich hätte Evelyn gern zum Abendessen dabehalten, aber sie sagte, sie wolle noch zu einer Probe, oder nein, sie sagte, sie wolle jemanden treffen, ich habe leider nicht richtig zugehört, nur dass es mit ihrer Beichte zu tun hatte, eine verworrene Geschichte, der ich auch nicht richtig zuhörte, das gebe ich zu.
    Paula ließ den schicksalsträchtigen Nachmittag Revue passieren: Sie war zwischen Küche und Salon hin- und hergegangen, hatte auf die Schnelle kleine Sandwiches vorbereitet, Kaffee serviert, fand zwar wunderbar, dass Evelyn sich ihr anvertraute, und nur ihr, das betonte die Künstlerin immer wieder, nur Ihnen, weil Sie älter sind und verständnisvoller als viele. Dass sie Paulas Alter unterstrich, ärgerte diese ein bisschen, und dass sie dieses Alter mit Klugheit und Toleranz in Verbindung brachte, fand Paula nett, aber idiotisch, ihr gefiel auch nicht, dass die junge Frau von ihrem Sexualleben erzählte (sie hatte dieses Wort in die Luft geworfen: Sexualleben, und das Wort zischte, flog, ein Bumerang, Paula kriegte es voll ins Gesicht, Sexualleben, wie lächerlich begrenzend dieses Wort war, Sexualleben, als wäre es eine Unterabteilung des ganzen Lebens, als könnte ich meine Schamlippen vom Bauch abtrennen und den Bauch von der Brust und so weiter, das Leben ist sexuell von A bis Z, und deshalb war sie – als älterer und verständnisvoller Mensch – zurzeit scheintot), ja sie hatte eine Zeit lang oder die ganze Zeit weggehört, auch weil sie ein wenig schockiert war. Die jungen Leute geben sich heute nicht gerade romantisch, und bei einer Pianistin befremdete sie das sehr, also wenn man so schön Chopin spielen konnte wie Evelyn und so ein Engelsgesicht hatte, und so eine fabelhafte Figur, da war es doch merkwürdig, dass man so roh über sein Sexualleben reden konnte. Martin war aber irgendwie auch daneben, sodass es vielleicht für ihn nicht schlecht gewesen wäre, mit Evelyn anzubändeln, auch wenn sie viel reifer war als er, und anscheinend viel erfahrener. Im Leben zählte weniger, wie und wen man liebte, nur dass man liebte. Schluss, Punkt. Sie selbst liebte zu wenig in der letzten Zeit, und dass Evelyn ihr als älterer Person ihre kleinen Exzesse anvertraute, hatte bei ihr ein Blackout, eine Art Aussetzen der Empfangswellen verursacht … Oder waren es keine Exzesse, von denen das Mädchen erzählte, nur verhasste Liebe? Ach, sie erinnerte sich nicht. Shit, shit, shit.
    Eigentlich müsste sie und nicht Martin zur Polizei gehen, wenn die Polizei nicht zu ihr käme. Sie könnte mit genauen Uhrzeiten helfen, Evelyn war kurz nach eins hier gewesen und kurz nach zwei gegangen. Martin war erst um sechs gekommen. Oder kurz davor. Die Sonne war nicht mehr im Garten. Er konnte sie nicht getroffen haben. Doch, er konnte. Er hätte es ihr aber gesagt. Er verschwieg ihr nichts. Nicht mal seine nächtlichen Verkleidungen konnte er ihr verheimlichen. Und wenn sie sich irrte? Und wenn er sie doch getroffen hatte? Und warum hätte ihr Evelyn nicht gesagt, dass ein Rendezvous mit ihrem Sohn stattfand? Und falls er Evelyn begegnet wäre, was bedeutete das schon? Evelyn hatte später ihren Mörder getroffen, aber wen? Hatte sie Paula einen Namen genannt? Einen Vornamen? Sie erinnerte sich nicht mehr.
    Es klingelte und Paula öffnete ihrer Putzhilfe, der jungen Simone, die sofort damit begann, aufgeregt von dem Verbrechen am Blausee zu schwatzen, viel Neues wüsste keiner darüber, sagte sie, die Kripo halte dicht, was man nicht verstehe, schließlich habe jeder ein Recht auf Information, und sie verkündete, dass die Gerichtsmediziner streikten. Wegen des Todes von Evelyn Gorda?, fragte Paula, nein, lachte Simone, weil sie angeblich unterbezahlt sind, aber Beamte dürfen nicht streiken, wandte Paula ein. Es ist auch kein richtiger Streik, sagte Simone, sondern Dienst nach Vorschrift, da könne es dauern, bis die arme Frau obduziert werde. Deshalb erfährt man nichts, nehme ich an. Sie füllte beim Plappern einen Eimer mit Wasser und Paula hörte nicht, was noch an Bemerkungen kam. Sie ging wieder zu ihrem Tagebuch, ließ eine weiße Stelle frei für Martins Kommentare und schrieb:
    Ich bin eine große Kuhglocke. Das Leben ist die Kuh. Sie führt mich spazieren, sie ist so schwer und warm und ich

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