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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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Schick. Was für eine Klasse deine schnippische Mutter hat, nicht wahr? Haben Sie auch Evelyn gekannt?, fragte Martin unvermittelt und störte Bodin offensichtlich in seinem Gedankengang, denn er stützte sich auf den Ellbogen und öffnete seine grünen, mit Blut unterlaufenen Augen. Evelyn Gorda? Ach ja, nur oberflächlich leider, von zwei Partys bei deiner Mutter, eine so hübsche junge Frau, traurig, traurig. Ihr Tod war ein Schock für dich, nicht wahr? Ich möchte nur verstehen, wieso sie umgebracht wurde, sagte Martin, wie konnte jemand sie umbringen? Bodin hatte ein hässliches Lachen. Verstehen? Ach, junger Mann, der du dich mit den komplexen Staubfäden der Pflanzen und dem Geschlecht der Fische beschäftigst, du musst doch wissen, dass unser Gehirn nie für das Verständnis der Spezies Mensch ausreichen wird. Und Martin: Warum sind Sie dann Psychotherapeut geworden, wenn nicht, um die Menschen zu verstehen? Und Bodin: Jeder Arzt und Psychotherapeut kann nach Jahren Studium und Praxis die wesentlichen Züge eines Menschen und seiner Neurosen nachvollziehen, aber so tief er auch seinen Vorbildern nacheifert, so intensiv er seinen Senf dazugibt, seine Kenntnisse und seine Methoden bleiben oberflächlich, ungefähr was die Kutis für die Subkutis ist, an das Ende des Lebensnervs komme ich nicht heran. Und diese Ohnmacht macht meinen Beruf und mich selbst sinnlos. Jeder Mensch ist anders gestrickt, aber alle zusammen sind die schmutzige Seele der Welt. Eine kleine graue Seele weniger spielt keine Rolle, es kommen in derselben Zeit so viele neue dazu.
    Wissen Sie, was Sie gerade sagen?, fuhr Martin ihn an. Bodin hatte einen so abwesenden Ausdruck bekommen, dass sein starrer Blick Martin erschauern ließ. Er widerstand der Versuchung, dem Therapeuten in die Wange zu kneifen, und hüstelte: Ich bin kein Philosoph, Doktor Bodin, ich möchte nur verstehen, wie ein Mensch tickt, der Evelyn Gorda töten kann. Bodin reckte sich. Du verlangst nicht von einer Biene, dass sie über ihre innere Uhr und Bewegungsmuster reflektiert und dass sie sich fragt, ob es vernünftig ist, den Menschen zu stechen, auf dem sie gerade gelandet ist, sie tut einfach das, wofür sie prädestiniert ist, ohne sich metaphysische Fragen zu stellen. Wir Menschen sind nicht viel entwickelter. Ihr Vergleich hinkt total, sagte der Biologiestudent, der Mensch hat eine Vernunft, einen freien Willen (Bodin lachte), und der Stachel der Biene hat reine Verteidigungsfunktion, sie glaubt, in Gefahr zu sein, und stirbt selbst dabei, der Mörder von Evelyn hat jemanden getötet, der sein Leben sicherlich nicht bedrohte. Für mich, sagte Bodin, ist Tötung immer der Akt von jemandem, der das Denken abgeschaltet hat und seine eigene, beschissene, aber gefährdete Welt verteidigt. Es klingt beinahe, als würden Sie den Mörder verteidigen, sagte Martin, Sie sollten mit Ihrem Gutachten, das auf seine Unzurechnungsfähigkeit hinzielt, wenigstens abwarten, bis man ihn schnappt. Er stand mit einem Kloß im Hals auf, was Bodin nur zu einem leichten Erheben des Oberkörpers anregte. Aber nein, Martin, ich verteidige nichts und niemanden, du stellst dir die Frage des Bösen, und ich kann dir keine Antwort geben. Meistens ist es so: Jemand fühlt sich, seine Welt, das pervertierte System, in dem er seit Jahren lebt, bedroht. Er tötet. Oder er tötet sich selbst. Man tötet auch, um jemanden zu bestrafen, ebenfalls eine Art, ein persönliches System zu schützen. Mord, erwiderte Martin, ist also immer eine Art Selbstverteidigung? Du störst, also bringe ich dich um.
    So einfach ist es nicht, seufzte Bodin. Grosso modo kann es so passieren, dass jemand sich als nichts empfindet, solang der andere lebt. Die Pupille dieses Anderen führt ihm sein Spiegelbild vor: eine runde Null.
    Sie schwiegen. In jedem von uns, sagte Bodin noch, schlummert ein Monstrum, ein Tier, unser Kern, unser uraltes Wesen, wir töten, um wieder das zu werden, was wir in unserem Tiefsten sind: Werwölfe.
    Mein Gott, sagte Martin, und wusste vor lauter Verwirrung nicht weiter.
    Ich möchte, sagte Bodin, manchmal an Gott glauben, an irgendeinen Retter. Ich auch, murmelte Martin.
    Bodin lächelte aufmunternd: Unser frommer Wunsch ist schon etwas, was uns über die Mordbiene erhebt, sagte er. Leider, mein Sohn, ist Gott ein Egoist. Er hält alle Antworten auf alle Fragen über das Leben unter

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