Body Farm
bereits eingesetzt.
Das Kondom war ein Ding mit Noppen und großem Reservoir, das jedoch trocken war. Ich trat ans Bett und schaute in die Schachtel. Ein Kondom fehlte. Im Badezimmer fand ich dann im Abfallkorb die rote Schutzhülle.
»Das ist interessant«, rief ich, während Marino die Wäscheschubladen aufzog. »Was?«
»Eigentlich hätte ich gedacht, daß er das Kondom in erigiertem Zustand übergezogen hat.«
»Leuchtet mir ein.«
»Müßte dann nicht die Schutzhülle in der Nähe der Leiche liegen?« Ich holte sie aus dem Abfall, wobei ich nur eine möglichst kleine Fläche berührte, und tat sie in einen Plastikbeutel.
Da Marino schwieg, fügte ich hinzu: »Also, ich glaube, alles hängt davon ab, wann er den Slip runtergezogen hat. Vielleicht war das, bevor er sich die Schlinge um den Hals legte.«
Ich ging zurück ins Schlafzimmer. Marino hockte neben einer Kommode und starrte auf die Leiche mit einem Gesichtsausdruck, in dem sich Ungläubigkeit und Abscheu mischten.
»Und ich habe immer geglaubt, das Schlimmste, was einem passieren kann, wäre, auf dem Klo abzukratzen«, sagte er.
Der Rundhaken in der Decke interessierte mich. Wie lange er schon dort saß, ließ sich nicht sagen. Ich wollte Marino gerade fragen, ob er sonst noch Pornographisches gefunden habe, als uns ein dumpfer Aufprall im Flur aufschreckte.
»Was zum Teufel - ?« rief Marino. Er war schon aus der Tür, ich direkt hinter ihm. Lieutenant Mote war an der Treppe zusammengebrochen. Er lag reglos mit dem Gesicht nach unten auf dem Teppich. Als ich mich hinkniete und ihn umdrehte, war er schon blau.
»Herzstillstand! Holen Sie die Leute!« Ich zog Motes Kinn nach vorn, um die Atemwege freizuhalten. Während Marino die Stufen hinunterlief, tastete ich nach Motes Halsschlagader. Es war kein Puls zu spüren. Ich gab ihm einen Schlag auf die Brust, aber das Herz reagierte nicht. Also begann ich mit den Wiederbelebungsmaßnahmen, preßte den Brustkorb einmal, zweimal, dreimal, viermal zusammen, bog seinen Kopf zurück und beatmete ihn. Der Brustkorb hob sich. Und wieder eins zwei drei vier, Beatmung.
Zwei Minuten behielt ich einen Rhythmus von sechzig Kompressionen pro Minute bei. Der Schweiß rann mir über die Schläfen, mein eigener Puls hämmerte. Die Arme schmerzten und wurden bleischwer. Zu Beginn der dritten Minute hörte ich dann mehrere Sanitäter die Treppe heraufpoltern, auch Polizisten waren dabei. Jemand faßte mich am Ellbogen und zog mich aus dem Weg, während behandschuhte Hände Elektroden anlegten und eine Infusion vorbereiteten. Bellend wurden Befehle erteilt, deren Ausführung bestätigt, und all das geschah mit der konzentrierten Leidenschaftslosigkeit, die für Rettungsmannschaften und Notaufnahmeteams so typisch ist.
Ich lehnte mich an die Wand und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Erst jetzt entdeckte ich einen kleinen, gutaussehenden jungen Mann in völlig unpassender Golfkleidung, der das Geschehen vom Treppenabsatz aus beobachtete. Nach mehreren Blicken in meine Richtung kam er schüchtern näher. »Dr. Scarpetta?«
Sein ernstes Gesicht war bis zu den Brauen sonnengebräunt. Den Rest hatte offensichtlich eine Mütze verdeckt. Möglicherweise gehörte der Mann zu dem Cadillac draußen. »Ja?«
»James Jenrette«, sagte er und bestätigte damit meine Vermutung. »Fühlen Sie sich wieder besser?« Er zog ein ordentlich gefaltetes Taschentuch hervor und reichte es mir.
»Ich bin okay, und ich freue mich sehr, daß Sie hier sind«, sagte ich aufrichtig, denn ich wollte meinen neuesten Patienten niemandem überlassen, der nicht Arzt war. »Kann ich Ihnen Lieutenant Mote anvertrauen?« Meine Arme zitterten, als ich mir Gesicht und Hals abwischte.
»Aber sicher. Ich fahre mit ihm ins Krankenhaus.« Jenrette reichte mir seine Karte. »Wenn Sie heute abend noch Fragen an mich haben, piepsen Sie mich nur an.«
»Ferguson nehmen Sie sich morgen vor?« fragte ich. »Ja. Sie dürfen mir gerne assistieren. Dann können wir auch all das hier besprechen.« Er sah den Flur hinunter.
»Ich werde kommen. Danke.« Ich brachte ein Lächeln zustande.
Jenrette folgte der Krankentrage nach draußen, und ich kehrte zum Schlafzimmer am Ende des Flurs zurück. Vom Fenster aus sah ich die Warnlichter blutrot blinken, als Mote in die Ambulanz geschoben wurde. Ob er es schaffen würde? Ich spürte Fergusons Gegenwart in seiner steifen Korsage und mit dem schlaffen Kondom. Nichts von alldem schien real.
Die Hecktür des
Weitere Kostenlose Bücher